Die Begriffe Feminismus und Emanzipation sind heute leicht negativ konnotiert und verursachen in den Köpfen vieler Menschen Bilder von männerhassenden Frauen, die wütend für die Befreiung des weiblichen Geschlechts und Gleichstellung protestieren und hartnäckig ideologische Debatten zu fast jedem annähernd weiblichen Thema führen. Viele Frauen wollen sich heute nicht mehr als Feministin bezeichnen.
Eines wird allerdings schnell vergessen: Diese Frauen haben viel erreicht. Die Feministinnen der sogenannten „Zweiten Welle“ in den sechziger und siebziger Jahren stellten die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen in Frage und setzten sich für die Gleichberechtigung der Frau ein. Sie verankerten die Gleichheit von Frauen und Männern im Grundgesetz und sorgten dafür, dass Ehescheidungen nicht mehr zum Nachteil der Frauen verliefen, Prostitution und Pornografie gesetzlich reformiert und Abtreibung entkriminalisiert wurde.
Warum braucht es also aktuell eine neue Welle des Feminismus? Eine Studie des Statistischen Bundesamtes deckt nur einige Ungleichheitsfaktoren auf: Frauen verdienen im Schnitt 7% weniger als Männer in den gleichen Positionen. Bei einem Ranking zu Frauen in Führungspositionen landet Deutschland lediglich auf dem 20. Platz. Väter sind wesentlich häufiger berufstätig als Mütter. In einer anderen Studie des Allensbacher Instituts für die Zeitschrift Bild der Frau wird bestätigt, dass sich klassische Rollenmodelle zwar gelockert, aber in keinem Fall aufgehoben haben.
Die Themen des neuen Feminismus reichen aber wesentlich weiter. Die Aktion „Wer braucht Feminismus?“, die in Deutschland 2012 ins Leben gerufen wurde, hat sich zum Ziel gesetzt, den Begriff Feminismus erneut mit Leben zu füllen und einen Imagewandel herbeizuführen. Jeder hat die Chance, bei dieser Kampagne sein Statement für den Feminismus abzugeben. Die Meinungen sind vielfältig und bestätigen, dass in vielen Bereichen die Gleichheit von Männern und Frauen doch nicht so gleich ist. Ebenso unterschiedlich wie die Meinungen sind auch die Gruppen und Aktivistinnen/Aktivisten, die sich dem Thema heute widmen.
Berühmt ist die Riot-Grrrl-Bewegung, die sich gegen die Dominanz von Männern im Musikbusiness ausspricht. Ebenso bekannt sind die seit 2011 existierenden Slutwalks, Demonstrationen, auf denen sich sowohl Frauen als auch Männer für die Unantastbarkeit der sexuellen Integrität jedes Menschen und gegen die Annahme einer Mitschuld bei sexuellen Verbrechen aufgrund des Tragens aufreizender und freizügiger Kleidung des Opfers einsetzen. Die Organisation FEMEN demonstriert gegen patriarchalische Strukturen, gegen jede Form von Pornographie, Prostitution und Menschenhandel, sowie Unterdrückung von Menschen durch Religion. Aber sind diese Themen nicht doch sehr ähnlich zu denen des alten Feminismus? Was ist also so neu am neuen Feminismus?
Der neue Feminismus funktioniert durch andere Kanäle. Er ist nicht mehr zwischen Bücherrücken und in intellektuellen Foren gefangen. Fast jede feministische Organisation ist im Internet, in sozialen Netzwerken und Blogs vertreten und findet schnelle Verbreitung und großen Zulauf. Medienwirksame Aktionen, wie die barbusigen, lauten Proteste von FEMEN oder die bunten Slutwalks steigern zwar auch die Zahl der Kritiker, aber auch die Zahl derer, die teilnehmen und sich einsetzen. FEMEN Deutschland hat über 15.000 und Terre des Femmes knapp 11.000 Likes bei Facebook. Und es sind nicht nur Frauen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Mehr und mehr Männer setzen sich für feministische Themen ein. Dadurch entsteht eine junge Generation von Feministinnen und Feministen die fast 25 Jahre nach dem Ende der zweiten Welle Themen aktuell aufarbeitet und auf neuen Kommunikationswegen schneller Zulauf und Öffentlichkeit gewinnt, als es in den sechziger und siebziger Jahren überhaupt möglich war. Einer breiten Masse werden feministische Thesen und Themen nicht nur national, sondern global zugänglich gemacht. Jeder kann durch einen Klick partizipieren, seine Meinung kundtun, teilen und aufrütteln. Wenn Fragen der Frauenrechte, Gleichstellung, Sexualisierung des weiblichen Geschlechts und Unterdrückung wieder neue weltweite Aktualität haben und jeder leichten Zugang zu Debatte und Lösungsansätzen hat, braucht sich der Einzelne nur noch die Frage zu stellen, die Emma Watson in ihrer Rede zum Feminismus vor der UN stellte: „Ich lade Sie ein vorwärts zu gehen und sich zu fragen: Wenn nicht ich, dann wer? Wenn nicht jetzt, dann wann?“
www.werbrauchtfeminismus.de
www.frauenrechte.de
www.femen.de
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