Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 31

12.553 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Faszination Popstar

21. Dezember 2017

Bühnenfiguren zwischen Rap, Rock und Elektronik – Kompakt Disk 01/18

So, jetzt kommt der erste Major-Tonträger aus den deutsch-österreichischen Swag-Rap Kreisen, und es ist tatsächlich eine Frau, die den Typen zeigt, was eine Harke ist. „Die kleine macht jetzt Kasse“, rappt die Hamburgerin Haiyti auf „Montenegro Zero“ mit ihrer krächzenden Stimme. Fette Beats, Angeber-Reime, ein paar Four-to-the-Floor-Tracks haben sich auch hierhin verirrt. Merkwürdigerweise aber keine Gastraps. Schafft Haiyti aber alles alleine. Einige Killer, kaum Filler (Vertigo). DJ Taye tritt derweil das Erbe des viel zu früh gestorbenen Footwork/Chicago Juke-Produzenten DJ Rashad an. Mit seinem Album „Still Trippin‘“ könnte er fast das rohe, immer nach Skizze klingende Genre aus seinem regionalen Nischendasein holen, aber die herrlich unverformte Heterogenität zwischen Hip-Hop, Breakcore, Trap etc. macht das dann doch wieder schwierig (Hyperdub).

Im 25. Bandjahr blickt man zurück: Musikalisch läuft‘s wie in den letzten Jahren: ein paar schöne Balladen, ein paar mitreißende Rocksongs, Dirk von Lotzows bassiger Manierismus – das ergibt immer noch ein solides Tocotronic-Album, und mit „Hey Du“ gibt es außerdem ein Spiritualized-Cover. Textlich horcht man allerdings auf, wenn an die eigenen Jugend erinnert wird. Midlife-Rock? Wenn‘s klingt wie das neue Album „Die Unendlichkeit“ gerne immer so weiter (Universal). Andreas Spechtl, Teil des Trios Ja, Panik, veröffentlicht mit „Thinking about tomorrow and how to build it“ sein zweites Soloalbum. Dafür ist er per Stipendium nach Teheran gereist, hat Geräusche, Klänge und Worte aufgenommen und in Stücke montiert, die zwischen Krautrock, Ambient und Electronica einen Raum öffnen, den man in Anlehnung an Jon Hassell Fourth World oder Possible Music nennen könnte, und der wunderschön klingt. Auch der Kölner Elektronikproduzent Schlammpeitziger öffnet mit seiner Musik einen imaginären Raum. „Damenbartblick auf Pregnant Hill“ – die Albumtitel sind nicht fantasieloser geworden – schaukelt fröhlich zwischen Krautrock und neuerer Electronica wie ein gut gelauntes Kinderspielzeug durch den Raum (beide bureau b). Als Nils Frahm 2015 die Filmmusik für Sebastian Schippers Drama „Victoria“ einspielt und kurz darauf den Deutschen Filmpreis für den besten Soundtrack erhält, hat er schon zahlreiche erfolgreiche Alben mit Klaviermusik und der Kombination aus Klavier und Elektronik veröffentlicht, außerdem etliche Kollabortionen bestritten. Neben vielen anderen Veröffentlichungen ist „All Melody“ nun sein siebtes Soloalbum. Es entfaltet einen zarten, aber unglaublich reichen Klangkosmos mit Beats, Tasteninstrumenten, Blasinstrumenten, Chören und vielem mehr. Ein Winteralbum für dunkle Stunden (Erased Tapes). 

Nach dem Postpunk („Rip it up and start again“) und Retrophänomenen im Allgemeinen („Retromania“) widmet sich der britische Popkritiker Simon Reynolds nun dem „Glam“. Zum einen Blick er in seiner profunden, über 600-seitigen Abhandlung auf die Timeline des Glam-Rock – von Marc Bolan, David Bowie und Roxy Music zu Slade, Sweet und Gary Glitter, aber auch zu den New York Dolls und Punk. Zum anderen analysiert er die hinter dem Performativen liegende Strategie, die neue Figuren und Fantasien etabliert und stark im Gegensatz zu dem vermeintlich authentischen, ‚ehrlichen‘ Rockgestus steht. Auch wenn man nicht immer einer Meinung mit dem Autor sein muss, wenn es um qualitative Wertungen geht, ist es ein Genuss zu lesen, wie er den Bogen von Bowie zu Lady Gaga schlägt und die Faszination für das Phänomen des Popstars beleuchtet (Ventil).

Christian Meyer-Pröpstl

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Kung Fu Panda 4

Lesen Sie dazu auch:

All die Frauen und Prince
Zwei Musikbücher widmen sich Sex, Körper und Gender im Rock ‚n‘ Roll – Popkultur 06/20

Live und After-Life
Überirdische Reunionen und Rituale – Kompakt Disk 12/19

Original und Kopie - Fünfmal Pop-Auslese
Pop als Referenzmaschine – Kompakt Disk 08/19

Gegenwart und Vergangenheit
Neue Elektronik und ein Rückblick auf Woodstock – Kompakt Disk 07/19

Krautpop und Krauthop
Glänzender Pop und deutsche Reime – Kompakt Disk 05/19

Retrospektiven in Ton und Wort
1000 Jahre und ein halbes Leben Musik – Kompakt Disk 04/19

Klarer Kurswechsel
Wunderbar verschlungene Bandbiografien – Kompakt Disk 03/19

Zarte Kraft
Neue Musik aus Ghana und Mali und ein Buch über Nico – Kompakt Disk 02/19

Für die Bäume
Musik mit Naturassoziationen – Kompakt Disk 12/18

Zarte Geister und suizidaler Horror
Seelenzustände in Musikform – Kompakt Disk 10/18

Stadtmusik und Waldmusik
Von betörendem Rock und betäubendem Pop – Kompakt Disk 05/18

Sentimentale Jugend
Ambiente Klangwelten, kantiger Pop und ergreifende Vielgestaltigkeit – Kompakt Disk 04/18

Musik.

Hier erscheint die Aufforderung!