Nach Christian Petzolds großem Erfolg „Transit“ waren im Februar bei den 70. Berliner Filmfestspielen alle gespannt auf sein neues Werk „Undine“. Die sympathische Undine (Paula Beer erhielt den Silbernen Bären als beste Darstellerin) betreut darin als freie Mitarbeiterin die Ausstellung „Berliner Stadtmodelle“. In ihrer kurzen Mittagspause trifft sie sich mit ihrem Freund Johannes, der zu ihrer Überraschung und Bestürzung nicht nur einen Kaffee mit ihr trinken will, sondern die Beziehung beendet. Undine fällt aus allen Wolken und findet, dass das gar nicht möglich sei, weil Johannes ihr die ewige Liebe geschworen hatte. Und tatsächlich: Da Undine ein durch die Liebe erlöster Wassergeist ist, muss sie nun nach dem Bruch des Liebesschwurs Johannes töten und selber wieder ins Wasser zurückkehren. Beides tut sie nicht, denn noch am selben Tag lernt Undine Christoph kennen. Alles scheint perfekt, doch dann geschieht ein Unglück. „Undine“ ist Christian Petzolds erster Teil einer geplanten Trilogie über die Elementargeister im Wasser, der Luft und der Erde. Petzolds neuer Film transportiert die Lebendigkeit der Liebe mit Hilfe seiner Hauptdarsteller in vielen kleinen Details. Das ist neu, denn in den meisten seiner bisherigen Filme sind die Figuren eher kühl angelegt, sind enttäuscht oder fürchten enttäuscht zu werden. Das Motiv der Bedingungslosigkeit der Liebe überstrahlt den gesamten Film, der zu den schönsten Dramen des Jahres gehören dürfte.
„Ein Mann und eine Frau“ schrieb 1966 Filmgeschichte, auch wegen der eingängigen Titelmelodie von Francis Lai. Doch die Liebe zwischen dem Rennfahrer und dem Skriptgirl fand kein Happyend, weil er weiterhin den Schürzenjäger gab. 1986 schickte Claude Lelouch das Paar noch einmal auf Glückssuche, wieder ohne nachhaltiges Ergebnis. Auch jetzt, wenn der 90jährige Jean-Louis Trintignant und die 88-jährige Anouk Aimé in „Die schönsten Jahre eines Lebens“ einen erneuten Anlauf nehmen, bleibt ihre Liebe zwischen Wunschträumen, Erinnerungen und Realität in einer nostalgisch-poetischen Schwebe. Aber wenn man in Trintignants zerfurchtes Gesicht blickt, aus dem immer noch der Schalk eines Lausbuben spricht, und Aimés unvergängliche Schönheit einen wie eh und je betört, dann nimmt man berührt Anteil an einem Stück unvergesslicher Kino-Nostalgie.
Im Jahr 2018 schuf der französische Modedesigner Jean Paul Gaultier gemeinsam mit der kürzlich verstorbenen Regisseurin Tonie Marshall für das legendäre Pariser Kabarett „Folies Bergères“ eine Revue, in der Gaultiers Leben mit Schauspielern und Tänzern zum Leben erweckt wurde. Yann L’Hénoret hat das Entstehen der „Fashion Freak Show“ für seinen Film „Jean Paul Gaultier: Freak & Chic” über Monate mit der Kamera begleitet und zeichnet dabei ein sehr plastisches Bild der Modelegende. Von seinen Kollegen und Wegbegleitern durchweg als liebenswert charakterisiert, wird auch Gaultiers Perfektionismus spürbar, der sämtliche Mitarbeiter kurz vor der Premiere noch einmal gehörig fordert, weil es nach Meinung des Meisters noch besser geht. Ein eindrucksvolles zeitgenössisches Dokument.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Abel Ferreras Selbstfindungs-Odysee „Siberia“, Jonas Alexander Arnbys Mysterythriller „Suicide Tourist - Es gibt kein Entkommen“, Carolina Hellsgards Coming-of-Age-Drama „Sunburned“, Florian Ross' Lochis-Verwechslungsklamotte „Takeover - Voll vertauscht“ und Ansgar Niebuhrs animierter Kinderfilm „Meine Freundin Conni- Geheimnis um Kater Mau“.
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