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Ada Borkenhagen
Foto: (Ausschnitt) Ada Borkenhagen

„Ausstrahlung ist mehr als die äußere Erscheinung“

27. Februar 2024

Teil 1: Interview – Psychoanalytikerin Ada Borkenhagen über Schönheitsoperationen

trailer: Frau Borkenhagen, Menschen neigen zu einfachen Lösungen: „Wenn ich reich wäre, wäre ich glücklich. Wenn ich schön wäre, würden mich alle lieben und ich hätte Erfolg.“ Woran erkennen Psychoanalytiker, ob jemandem zum Glücklichsein tatsächlich nur die Nasenkorrektur fehlt oder ob die Probleme woanders liegen?

Ada Borkenhagen: Das ist nicht ganz so einfach. Und eigentlich fällt das in den Fachbereich der Plastischen Chirurgen. Ich würde als Maßgabe immer heranziehen, ob tatsächlich ein Makel vorliegt und der auch von anderen Personen so gesehen wird auch wenn diese vielleicht sagen: Ja stimmt Deine Nase ist schon recht groß aber dafür sind Deine Augenbrauen sehr schön geformt.“ Leidet eine Person zum Beispiel unter einer sehr ausgeprägte Hakennase, dann finde ich es problematisch zu sagen, dass man das nur mit Psychotherapie behandeln könnte. Ein Kriterium ist also, dass es objektive – in Anführungsstrichen – Tatsachen gibt, die es einleuchtend oder verständlich machen, dass jemand etwas korrigiert haben möchte.

Also sollten eher die Chirurgen entscheiden? Aber die haben doch ein Eigeninteresse …

Ja, ich halte es nicht für gerechtfertigt, dass über einen plastisch-chirurgischen Eingriff per se die Psychologen entscheiden sollten. In Zweifelsfällen haben sicherlich Psychologen oder Psychotherapeuten ein Instrumentarium an Tests, um beispielsweise eine schwere Persönlichkeitsstörung oder das Vorliegen einer Körperdysmorphie auszuschließen oder Hinweise darauf zu finden. Aber was sicherlich gerade bei schönheitsmedizinischen Eingriffen immer auch eine Rolle spielt, ist die realitätsgerechte Erwartung des Patienten oder der Patientin. Und dafür brauche ich auch einen Plastischen Chirurgen, der aufgrund seiner Ausbildung beurteilen kann, was möglich ist und was nicht. Und die Plastischen Chirurgen haben ein großes Interesse daran, dass ihre Patienten hinterher zufrieden sind.

Problematisch zu sagen, dass man das nur mit Psychotherapie behandeln könnte“

Leuten, die im Vertrieb ausgebildet werden, rät man, sie sollten am Telefon lächeln, weil ihre Stimme dann freundlich klingt. Gilt ähnliches für Schönheits-OPs, wirkt jemand glücklicher auf andere, wenn er sich selbst schön findet?

Dazu gibt es Studien. Wenn die schönheitsmedizinische Maßnahme ihr ästhetisches Ziel erreicht hat, also fachkundig durchgeführt wurde, es keine Komplikation gegeben hat, ist man in der Regel damit zufrieden. Und ja, so komisch das klingt, ich kann durch eine schönheitsmedizinische Maßnahme mehr Übereinstimmung mit mir selbst erreichen. Und das erhöht dann auch das Selbstwertgefühl.

Schöne Menschen werden eher als erfolgreich und glücklich wahrgenommen.

Ja, Sie sprechen etwas ganz Wichtiges an. Es gibt das sogenannte Attraktivitätsstereotyp. So nennt man das in der Psychologie. Das führt dazu, dass wir schöneren Menschen oder attraktiveren Menschen gleichzeitig auch positivere Charaktereigenschaften zuschreiben. Das kennen wir alle auch aus dem Märchen. Im Märchen sind die Schönen immer die Guten. Oder die Hexe bei Hänsel und Gretel. Sie ist alt, hässlich und auch die Böse.

Im Märchen sind die Schönen immer die Guten“

Auf der anderen Seite gibt es diesen Spruch „Alles, was du in Liebe betrachtest, ist schön“. Warum nehmen wir bei manchen Menschen eine sozusagen objektive Hässlichkeit gar nicht wahr?

Schönheit liegt natürlich immer auch im Auge des Betrachters. Unabhängig davon gibt es aber universelle Attraktivitätsmerkmale, die eine Person attraktiver machen und das lässt sich sogar messen. Das heißt aber lange noch nicht, dass wir jemanden, der sozusagen nach Normmaßen als attraktiv angesehen wird, dannsympathisch finden. Ob wir jemanden als schön wahrnehmen, und nicht nur als attraktiv, hängt von der Ausstrahlung eines Menschen ab und die ist sehr viel mehr als nur die äußere Erscheinung.

Welche Rolle spielen das Smartphone und die sozialen Medien? Wir fotografieren uns dauernd, verwenden visuelle Filter und viel mehr Menschen als früher lassen sich operieren.

Ja, das hat einen enormen Einfluss, weil mit dem Aufkommen der Smartphones, vor allem der Handykamera Selfies zu einer Kulturtechnik geworden sind und es heute ganz normal ist, sich in jeder Minute zu fotografieren und das Foto dann auchzu versenden. Früher wurden Fotos zu bestimmten Anlässen gemacht. Es ist ein Unterschied, ob ich morgens in den Spiegel gucke und mich vielleicht dann noch zwei, dreimal am Tag in irgendeinem Schaufenster spiegele oder ob ich mich permanent als eigenes Foto sehe, und dieses Foto gleichsam als öffentliches Spiegelbild dann versende. Das heißt, Menschen sind heute viel öfter mit dem eigenen Aussehen konfrontiert, daher wird es auch sehr viel bedeutsamer für uns. Hinzu kommen dann noch diese neueren Handyfilter, eigentlich dazu entwickelt, um die Nachteile einer Handykamera zu kaschieren. Denn ein Handyfoto, was mit einer Armlänge gemacht wird, verzerrt die Proportionen. Später hat man den Fotofiltern bestimmte Algorithmen unterlegt. Und plötzlich waren wir mit diesen Idealbildern von uns konfrontiert, die die Augen größer, die Nase kleiner, den Mund voller und die Haut ganz ebenmäßig machen. Das hat natürlich auch Einfluss auf unsere eigenen Idealvorstellungen. Wir möchten auch in der Realität so aussehen wie auf unserem geschönten Selfie. Hinzu kommt, dass sich die Medizin weiterentwickelt hat und heute so viel mehr im Angebot und sogar kostengünstiger ist als noch vor zwanzig Jahren.


UNHEIMLICH SCHÖN - Aktiv im Thema

de.statista.com/statistik/daten/studie/221664/umfrage/anteil-der-haeufigsten-schoenheitsoperationen-in-deutschland | Statistik über die beliebtesten Schönheits-OPs in Deutschland von 2021 bis 2023.
profamilia.de/fuer-jugendliche/pubertaet/schoenheit | Pro Familia-Beitrag über den Umgang mit Schönheitsidealen in der Pubertät.
verein-tabu.de | Die Dortmunder Verein zur Verhinderung von weiblicher Genitalverstümmelung.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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Interview: Daniela Prüter

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