Seit Jahren fasst die Werk°Stadt Witten die in naher Zukunft auftretenden KabarettistInnen auf einem Flyer mit dem Motto „Wir machen sie alle“ zusammen. Auch Sonneborns Name fand Platz auf der neuesten Ausgabe des Flyers, obwohl sich das Programm des gebürtigen Göttingers nur bedingt als klassisches Kabarett bezeichnen lässt. Dies ließ sich schon vor Beginn der Veranstaltung an der Publikumskonstellation ablesen. Selten dürfte sich ein im Schnitt so junges Publikum zu Altmeistern wie Horst Schroth oder Dieter Hildebrandt ins Wittener Kulturzentrum verirrt haben. Ob Kabarett oder nicht, Sonneborn scheint in jedem Fall für Humor und Themen zu stehen, die auch die junge Generation anzuziehen weiß und ist sich seinem Auftrag zu 100 Prozent bewusst.
„Ich hoffe Ihnen ist klar, dass Sie sich hier zu einer reinen Propagandaveranstaltung eingefunden haben“ stellt Sonneborn zu Beginn mit bierernster Miene klar. Und tatsächlich, sein Programm „Krawall & Satire“ sollte sich die gesamte Spielzeit über dem eigenen aufmüpfigen Schaffen der letzten Jahre widmen. Nach kurzer Einführung in die Machenschaften seiner eigenen Person begann Sonneborn chronologisch die vermeintlichen Wahlerfolge seiner Partei „Die Partei“ zu dokumentieren und die erfolgsversprechenden Propagandawerkzeuge und Kampagnen zu erläutern. Per an die Wand projizierter, digitaler Diashow erklärte Sonneborn dem Publikum die Intentionen der berühmt berüchtigten Wahlplakate seiner Partei oder die Titelblätter des Partei-Printorgans „Titanic“. Als besonders nachvollziehbar und lobenswert tat sich hierbei das Jörg Haider und seinem VW Phaeton gewidmete Plakat mit dem Slogan „Gas geben“ hervor, welches in leicht abgewandelter Form NPD-Spitze Udo Voigt einst für sich beanspruchte. Ebenfalls legitim: Die Forderung nach einem Endlager im Berliner „Prenzlberg“, welches vor allem für Wahlerfolge in den übrigen Bezirken der Hauptstadt sorgen sollte. Sonneborn ließ die Bilder meist für sich sprechen. Seine Kommentare brachen zu keiner Zeit mit seinem satirischen Gesamtkonstrukt und waren wohl dosiert, trotzdem hatte er stets die Präsenz eines echten Parteichefs inne.
Personenfahndung der etwas anderen Art Foto: Benjamin Knoll
Nach der Halbzeitpause rückte die TV-Präsenz Sonneborns in den Fokus des Abends. Seine Tätigkeit als Außenreporter der heute-show führte den 48-Jährigen unter anderem auf Veranstaltungen der SPD und NPD und auf die Berlinale. Erkenntnisse: Die SPD ist von sich nur minder begeistert, der ehemalige SPD-Politiker Hans Püschel ist als NPD-Bürgermeister von (Kr)ausschwitz vor allem gesanglich top und Pornokinos werden von Berlins Bürgermeister Wowereit mehr als geschätzt. Außerdem entlockte Sonneborn einem Pharma-Lobbyisten unbequeme Wahrheiten über Generika von vermeintlich minderer Qualität.
Sonneborns Propagandaabend sorgte für kurzweilige Unterhaltung. Die Rolle des Parteichefs ist auch live ein perfekter Abgesang auf das politische Tagesgeschäft und die abstrusen gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit. Da Sonneborn jedoch nicht erst seit gestern polarisiert und bekanntlich nicht alle Menschen das Spiel mit moralischen Gürtellinien verstehen und/oder gutheißen, wird es Sonneborn größtenteils auch zukünftig mit ihm sympathisierenden ZuschauerInnen zu tun bekommen, die die Aktivitäten von Titanic und Partei sowieso schon verfolgen. Für jene ZuschauerInnen fehlte auch in Witten der Aha-Affekt. Ein wenig mehr als das Zusammenstellen von sowieso schon bekannten Clips und Bildern wäre wünschenswert gewesen. Der Infostand der Partei im Foyer erhielt nach der Veranstaltung trotzdem regen Zulauf.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
DIY-Metzgerei
Im Treff°Witten entsteht Jugendkultur oftmals in Eigenregie
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25
Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25
Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25
„Charaktere mit echten Biografien“
Oliver Uschmann über seinen Roman „Ausgefranzt“ – Literatur 05/25
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Unschärfe der Jugend
Diskussion über junge Literatur im Essener KWI – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
„Die großen Stiftungen scheinen es nicht zu kapieren“
Gerd Herholz über sein Buch „Gespenster GmbH. Interventionen aus dem Ruhrgebiet“ – Interview 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25