Werfen wir einen Blick zurück in das Jahr 2008: Ich absolviere meinen Zivildienst in der Werk°Stadt in Witten. Es ist Freitag, 20 Uhr und im vorderen Bereich der ehemaligen Industriehalle des heutigen Kulturzentrums tummeln sich gut 300 Jugendliche, die gut gelaunt auf den ersten Programmpunkt der Talentbühne Gehacktes warten. Das Prinzip der Reihe „Gehacktes“ ist simpel und hat sich über die Jahre bewährt. In geregelten Monatsabständen wird dem Publikum für einen symbolischen Eintrittspreis von einem Euro eine Mischung aus Kleinkunst und Musik von bis dato unbekannten Nachwuchskünstlern aus der Region geboten. Viele SchülerInnen feiern hier ihren ersten Auftritt. Die Veranstaltung wird größtenteils von einem ehrenamtlichen Team aus engagierten Jugendlichen organisiert. Mitmachen kann prinzipiell jeder. Der Happening-Charakter der Veranstaltung ist unübersehbar. In den Umbaupausen wird geplaudert, getrunken und entspannt. Hier stehen weniger die jeweiligen Acts, sondern vielmehr die Unterstützung der Veranstaltung selbst und das Treffen Gleichaltriger im Mittelpunkt. „Gehacktes“ garantierte zu dieser Zeit einen gut besuchten, unterhaltsamen Abend und ein idealtypisches Stück Soziokultur.
Noch während meiner neunmonatigen Zivildienstzeit gingen die Besucherzahlen jedoch konstant zurück. Heute findet die Talentbühne nur noch alle drei Monate statt und muss sich mit weitaus weniger symbolischen Euros zufrieden geben. Die Entwicklung von „Gehacktes“ stünde stellvertretend für eine neue junge Zielgruppe mit neuen Interessen und veränderten Voraussetzungen, erklärte mir damals Torsten Nagel, von 2010-2012 verantwortlich für Jugendkultur und Programmplanung in der Werk°Stadt. Er sah die Hauptprobleme in den sich immer weiter aufsplitternden Jugendszenen und dem vollen Terminkalender der Jugendlichen. Der Alltag sei durch das Abitur in zwölf Jahren und die Bachelor-Reform noch mehr auf Schule und Ausbildung ausgerichtet als früher. Es bliebe nun noch weniger Zeit und Kraft für kulturellen Konsum und kulturelles Engagement.
Mit dem Treff° kam neuer Schwung
Dass aber weiterhin ein großes Interesse an vielfältigen Kulturangeboten besteht, zeigt der Zulauf, den das 2009 in Zusammenarbeit mit dem Kinder- und Jugendparlament eröffnete Jugendcafé Treff° direkt neben dem alten Hauptgebäude der Werk°Stadt erfährt. Das durch städtische Mittel finanzierte Jugendzentrum wurde von Jugendlichen selbst eingerichtet und gestaltet und bietet neben einem regulären Gastronomiebetrieb einen ausgewogenen Veranstaltungsmix aus Workshops, Konzerten, Disco, Filmvorführungen und Diskussionsrunden. Dass die Jugendlichen auch Einfluss auf das Programm des Treffs haben, entspricht dem Selbstverständnis der Einrichtung und ihrem bildungspolitischem Auftrag. Viele Veranstaltungen werden von den Jugendlichen und Heranwachsenden sogar komplett in Eigenregie durchgeführt.
Die Mitarbeit als Herzensangelegenheit
Die neuen räumlichen und partizipativen Möglichkeiten lassen Veranstaltungen wie z.B. das Benifizfestival Grenzfrei oder die Konzertreihe Punk’n’Rap entstehen. Und auch „Gehacktes“ hat man mit alten Prinzipien und dem Umzug in die frischen Räumlichkeiten neues Leben eingehaucht. Die Besucherzahlen steigen seit einiger Zeit wieder kontinuierlich. Dominik Klimat ist das älteste Mitglied des derzeitigen Gehacktes-Teams und hat die Hochzeiten der Talentbühne selbst miterlebt. Für ihn ist die Arbeit eine Herzensangelegenheit: „Mir tat es schon ein bisschen weh, dass Gehacktes von den ‚nachkommenden‘ Jugendlichen kaum angenommen wurde. Ich wollte der Sache zu alter Anziehungskraft verhelfen und die Schüler wieder mehr integrieren, nachdem der Altersschnitt immer mehr in die Höhe ging“.
Auch die Vielfältigkeit steht seit den letzten Ausgaben wieder im Fokus: „Gehacktes hat sich immer durch kleinkünstlerische Vielfältigkeit ausgezeichnet und sich damit von normalen Sparten-Konzerten abgegrenzt“. Konsequenterweise standen Siebdruckwerkstadt und Poetry-Slam beim letzten „Gehacktes“ im Fokus. Dazu standen junge, lokale Bands auf der Bühne, die auch das erwünschte Schüler-Publikum wieder anlockten. Trotzdem gibt es noch viel Luft nach oben, sagt der 23-jährige Design-Student: „Wir haben in jedem Fall gemerkt, dass das Prinzip der Veranstaltung immer noch greift und junge Menschen Lust auf so einen Abend haben. Bis Gehacktes jedoch wieder ein fester monatlicher Pflichttermin in den Kalendern der Jugendlichen wird, ist es noch ein weiter Weg. Viele müssen das Angebot erst noch kennenlernen. Wir müssen uns durch konstant gut geplante Programme neu etablieren“.
Die Wiederbelebung der Wittener Jugend-Kultur rund um Werk°Stadt und Treff° ist symbolträchtig und zeigt, dass der Bedarf an kultureller Partizipation nach wie vor da und vielleicht sogar aufgrund einer verkürzten Jugendphase wichtiger denn je ist. Oftmals bedarf es lediglich einer geeigneten Infrastruktur, gepaart mit einer Mischung aus Beharrlichkeit, Kontinuität und Lokalpatriotismus.
Das Programm des Treff°Witten finden Sie hier: www.werk-stadt.com
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