Eine fünfköpfige Familie auf der Couch, 20 Schulkinder im Klassenzimmer und 400 Menschen auf einer Demonstration – insgesamt leben etwa 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde, und jeder einzelne trägt eine Geschichte. In ihrem aktuellen Kinderbuch „Alle zählen“ bildet die norwegische Künstlerin Kristin Roskifte eine bunte und vielfältige Welt voller Individuen ab. Letztes Jahr im Gerstenberg Verlag erschienen erzählt das Zahlenbuch Leser:innen ab fünf Jahren auf einfühlsame Weise von der Komplexität unserer Existenz und davon, dass jedes Leben einzigartig und besonders ist.
Mit Leichtigkeit, Witz und viel Feingefühl führt Roskiftes Wimmelbuch das Lesepublikum durch verschiedenste Alltagssituationen. Dabei entspricht die Seitenzahl (bis Nummer 30) der Anzahl der abgebildeten Figuren auf einer Seite, wodurch das Buch wunderbar zum Zählenlernen geeignet ist. Die Szenerien reichen von Backwettbewerben über Vergnügungsparks bis hin zu Beerdigungen und Gefängnissen. Hier wird mit Stereotypen gebrochen, Vorurteile werden herausgefordert und Einzelschicksale kurz beleuchtet. Die Vielfalt des Buches zeichnet sich im Besonderen durch die Bilddarstellungen von Menschen jeden Alters, jeder Hautfarbe und Körperform, Größe sowie Beeinträchtigung aus. Unterstrichen wird dies durch farbige Illustrationen. Die bunten Figuren heben sich vom hellblauen Hintergrund ab, wodurch die einzelnen Seiten nicht überladen wirken, sondern der Blick vielmehr auf das Wichtigste gelenkt wird. Nichtsdestotrotz kann man in der reduzierten Darstellung der blauen Hintergrundlinien zahlreiche Details entdecken und so immer neue Geschichten um die Figuren, deren Beziehung zueinander und um den Gesamtkontext spinnen. Hier wird die Fantasie angeregt – am liebsten möchte man sich stundenlang in die Seiten des Buches vertiefen und alles ganz genau unter die Lupe nehmen.
Am Ende des Buches finden sich knapp 100 Quizfragen, darunter auch philosophische Anregungen, die dazu animieren, über sich selbst und das eigene Sein nachzudenken. Auf der letzten Doppelseite werden außerdem ein paar „Geheimnisse“ aufgedeckt, die der Text erzählerisch andeutet – wer genau hinschaut, bemerkt, dass einige der Figuren auf mehreren Seiten auftauchen. Im Großformat fängt das Buch den Charakter des klassischen Wimmelbuchs ein und gibt der Bildebene genügend Wirkungsraum. Nicht umsonst ist „Alles zählen“ für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 nominiert – in 32 Sprachen übersetzt fördert das Buch Empathie und Offenheit.
Kristin Roskifte: Alle zählen | Aus dem Norwegischen von Maike Dörries | Gerstenberg Verlag | ab 5 Jahren | 64 S. | 18 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Roman eines Nachgeborenen
„Buch der Gesichter“ von Marko Dinić – Literatur 09/25
Süß und bitter ist das Erwachsenwerden
„Fliegender Wechsel“ von Barbara Trapido – Textwelten 09/25
Geteilte Sorgen
„Lupo, was bedrückt dich?“ von Catherine Rayner – Vorlesung 08/25
Magischer Realismus
Charlotte Brandi liest in Dortmund aus ihrem Debütroman „Fischtage“ – Lesung 08/25
Augen auf Entdeckungsreise
„Jetzt geht’s los!“ von Philip Waechter – Vorlesung 08/25
Düster und sinnlich
„Das hier ist nicht Miami“ von Fernanda Melchor – Textwelten 08/25
Erste Male zwischen den Welten
„Amphibium“ von Tyler Wetherall – Literatur 08/25
Die Kraft der Erinnerung
„Das Geschenk des Elefanten“ von Tanja Wenz – Vorlesung 07/25
Eine wahre Fluchtgeschichte
„Wie ein Foto unser Leben rettete“ von Maya C. Klinger & Isabel Kreitz – Vorlesung 07/25
Zart und kraftvoll zugleich
„Perlen“ von Siân Hughes – Textwelten 07/25
Alternative Realität in Tokyo
„Tokyo Sympathy Tower“ von Rie Qudan – Literatur 07/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 06/25
Ein Hund als Erzähler
„Zorro – Anas allerbester Freund“ von Els Pelgrom und Sanne te Loo – Vorlesung 06/25
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25
Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25
Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25
Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25
„Charaktere mit echten Biografien“
Oliver Uschmann über seinen Roman „Ausgefranzt“ – Literatur 05/25
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Unschärfe der Jugend
Diskussion über junge Literatur im Essener KWI – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25