trailer: Herr Klocke, ich möchte mit Heimatkunde beginnen.
Piet Klocke: Heimatkunde mag ich sehr gern.
Ist für Sie das Ruhrgebiet Heimat?
Schon. Andererseits bin ich überall, wo ich mich wohlfühle, Freunde, gute Restaurants und Theater habe, sehr schnell in einer Art Heimat. Da ich den überwiegenden Teil meines Lebens im Ruhrgebiet verbracht habe, ist aber hier für mich mein „Stammlokal“.
War das Ruhrgebiet für Sie prägend?
Auf jeden Fall. Ich fühle mich hier sehr wohl. Bin mit Jürgen von Manger aufgewachsen. Die Leute hier sind große Klasse, sprechen klare Worte, machen kein großes Brimbamborium.
In der Jugend haben Sie rebelliert?
Ich war das bravste und konservativste Kind weit und breit und bis in die Zehenspitzen Sportler. Die sind von Haus aus braver.
Musikalisch verorteten Sie sich damals beim Jazz-Punk. Wie geht denn diese Kombination?
Ich bin Klassischer Gitarrist, später Blues- und Rockgitarrist. Als die Punkzeit anfing, habe ich eine Funkband gehabt. Ich liebe rhythmisch betonte, tanzbare, soulige Musik. Einige Musiker kamen vom Free-Jazz, dadurch der etwas wildere, rauere Groove. Das wurde dann unter dem Etikett Punk-Jazz eingeordnet.
Und dann machten Sie Filmmusik. Das ist doch auch ein Genre, das nicht jeder beackert.
Filmmusik habe ich 16 Jahre meines Lebens gemacht. Eine schöne Zeit. Das erste Mal, dass ich – für einen ARD-Zweiteiler – mit den Prager Film-Symphonikern arbeiten durfte. Vielleicht nicht ganz einfach, diese seriöse Tätigkeit mit einem Komödianten zu verbinden. Dabei macht der Komödiant eine genauso ernsthafte Arbeit. Viele sagen sogar, Humor sei das Schwierigste. Als Filmmusik-Komponist muss man sich der Idee anderer unterordnen. Das ist für viele Musiker aufgrund ihres Egos nicht immer ganz einfach und natürlich etwas ganz anderes, als würde man in völliger Freiheit einen Song komponieren.
Und dann haben Sie Ihren Beruf gewechselt?
In Amsterdam habe ich nach dem Abitur fast drei Jahre gelebt. Dort gab es die Musiktheatergruppe „Hauser Orkater“, bei der wirklich alles möglich war: Lesung, Pantomime, Musik, Szene, Tanz und Schauspiel, mal ernst und melancholisch, mal tragisch, mal lustig. Das wollte ich auch machen. Habe dann im Ruhrgebiet das viele danach beeinflussende KAMIKAZE ORKESTER gegründet. Nebenbei aber auch weiterhin Filmmusik komponiert. Irgendwann gab es in Köln ein Comedy-Festival. Ich wusste damals, so um 1994, noch gar nicht recht, was das denn wohl sein sollte. Bin zusammen mit einer Saxophonistin, Simone Sonnenschein, zwei Abende dort aufgetreten, praktisch ab dem nächsten Morgen stand mein Telefon nicht mehr still, es hatte wohl eingeschlagen! Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, sagt man wohl.
Gibt es Parallelen zwischen Helge Scheider und Ihnen?
Kann sein. Helge kenne ich noch aus „alten Zeiten“. Wir improvisieren beide und laufen somit immer Gefahr, dass auch mal etwas in die Hose geht. Wer Angst vorm Scheitern hat, sollte davon die Finger lassen und sich an feste Texte halten. Ich weiß, die Zuschauer lieben es, wenn mal etwas schief geht. Vielleicht liegt das am übermäßigen und dadurch schnell sterilen Perfektionsdrang der meisten Unterhaltung. Helge besitzt hohes anarchistisches Potenzial. Und ist auch Musiker. Ich allerdings spiele nicht viele Instrumente, im Gegenteil, ich muss mit meiner Protest-Gitarre vorliebnehmen. Ein Trauerspiel!
Sind Sie beide nicht auch ein bisschen geistesverwirrt?
Oho! Das mag vielleicht oft so aussehen. Ohne einen klaren Kopf jedoch kann ich unmöglich sämtliche sprachlichen Assoziationen, die in Sekundenbruchteilen auf mich einpreschen, beobachten und gleichzeitig auf Qualität hin überprüfen. Mein Chaos ist ebenso durchstrukturiert wie das des Universums. An manchen Tagen herrscht friedlich-wohlige Ordnung und am nächsten schon scheinbar alles zerstörendes Chaos. Aufpassen muss man in jedem Fall und einfach genießen, dass dem so ist.
Sie sind also die Personifizierung der Chaostheorie?
Sie haben Recht, wenn Dada nicht schon erfunden wäre, ich stünde bereit.
Unterscheiden Sie sich privat eigentlich von der Person, die wir im Fernsehen oder auf der Bühne erleben?
Von der sogenannten „Kunstfigur Professor Schmitt-Hindemith“ habe ich persönlich eine ganze Menge. Dazu muss ich aber nicht ständig assoziativ beeinflusst sprechen. Denken reicht.
Jetzt sind Sie nicht mehr wöchentlich auf RTL zu sehen.
Im Fernsehen tauchte ich in den letzten Jahren so gut wie nicht mehr auf. Wenn man Ansprüche hat, seine Kunst weiterentwickeln will, muss man sich nicht zwangsläufig ständig wiederholen. In meinem Buch „Kann ich hier mal eine Sache zu Ende?“ gibt es deshalb auch neben Humoresken, Sprüchen und Aphorismen melancholische Liebes-Gedichte oder Foto- und Bildergeschichten. Ich bin nicht der Typ, der des Geldes wegen immer den gleichen Scherz macht. Das Leben selbst ist Vielfalt, da muss der Mensch sich doch nicht beschränken.
Welche Zukunftspläne haben Sie?
Ich arbeite mit der Saxophonistin Simone Sonnenschein gerade an einem neuen Bühnen-Programm. In meiner Schublade liegen noch Ideen für Film und Fernsehen. Da ich aber großen Wert aufs Leben lege, dauert bei mir halt alles etwas länger. Glückauf!
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