trailer: Frau Kammerevert, was macht die Europäische Union mit unserem Wasser?
Petra Kammerevert: Die Konzessionsrichtlinie, über die in letzter Zeit viel geredet und geschrieben wurde, ist grundsätzlich keine Privatisierungsrichtlinie. Sie schreibt nicht zwingend Privatisierungen vor. Allerdings sind viele Regelungen in dieser Richtlinie enthalten, die am Ende des Tages dazu führen könnten, dass bei vielen Stadtwerken der Privatisierungsdruck im Bereich Wasser deutlich erhöht wird. Das grundsätzliche Ziel der Richtlinie, Qualität und Bezahlbarkeit von öffentlichen Dienstleistungen sicherzustellen, Transparenz zu wahren und Korruption zu verhindern, wenn Konzessionen von Kommunen an Private vergeben werden, ist ja durchaus zu unterstützen. In vielen europäischen Ländern fehlen hier klare Regelungen.
Aber trotzdem sind Sie mit dem Vorschlag der Kommission nicht einverstanden. Warum?
Wir Sozialdemokraten kämpfen darum, dass die Wasserversorgung aus der Konzessionsrichtlinie der Europäischen Kommission wieder herausgenommen wird. Wasser ist keine Ware, sondern das Lebensmittel Nummer eins. Es gehört zur Daseinsversorgung. Die Rettungsdienste sind aus der Liste der zu berücksichtigenden Dienstleistungen herausgenommen. Hier gilt wie beim Wasser, dass es sich um einen Bereich handelt, der nicht dem wirtschaftlichen Profitstreben anheimgestellt werden sollte. Beim Thema Wasser werden wir leider von der Bundesregierung nicht unterstützt, die so die Kommunen alleine lässt.
Warum macht die das?
Wir haben mit Erstaunen festgestellt, dass die Bundesregierung im Wirtschaftsministerrat den Vorschlag der Kommission durchgewunken hat. Dabei protestierten gegen diese Vorlage die Kommunalen Spitzenverbände, der Bundesrat und auch der zuständige Bundestagsausschuss.
Müsste ich also eher mit Herrn Rösler sprechen als mit Ihnen?
Im Prinzip schon. Aber auch die Kanzlerin scheint den Vorschlag für eine großartige Idee zu halten.
Bei der Wasserversorgung können ja enorme Gewinne erwirtschaftet werden. Ist die Politik der Europäischen Kommission abhängig von der Lobby großer Wirtschaftsunternehmen?
Gerade bei solchen Vorgängen ist der Einfluss von Lobbyisten nicht ganz auszuschließen. Als Abgeordnete erfahren wir täglich, wie intensiv Lobbyismus in Brüssel betrieben wird. Dass die Kommission sehr wirtschaftsliberal ausgerichtet ist, liegt aber auch an den Mehrheitsverhältnissen in den Mitgliedsstaaten. Insofern rennen Lobbyisten bei der Kommission natürlich offene Türen ein.
Was können wir Bürger tun, um die Privatisierung der Wasserversorgung zu verhindern?
Es gibt eine europaweite Bürgerinitiative, „right2water“, die bereits über 1,2 Millionen Unterschriften in sehr kurzer Zeit gesammelt hat. Wenn die nötigen Unterschriften zusammenkommen, und danach sieht es aus, muss sich die Kommission mit dieser Initiative befassen. Die Unterschriftensammlung geht übrigens an dem zuständigen Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen nicht spurlos vorbei. Michel Barnier äußerte bereits, dass man in Artikel 1 der Konzessionsrichtlinie festschreiben könnte, dass eine Privatisierung der Wasserwirtschaft nicht angestrebt wird. Das reicht aber nicht, damit diese Richtlinie für uns zustimmungsfähig wird. Wir müssen zum Beispiel interkommunale Zusammenarbeit ermöglichen. In Deutschland gibt es eine rege Diskussion über die Rekommunalisierung der Stadtwerke, die ja teilweise privatisiert sind. Hier sind Verbünde ein wichtiges Instrument, um diese wieder in kommunale Hände zu überführen.
Spielen die Probleme um das Trinkwasser Europa-Skeptikern in die Hände?
Ja, insofern sind solche Vorschläge der Kommission ausgesprochen ärgerlich. Deshalb wird auch auf allen parlamentarischen Ebenen, vom Europaparlament über Bundestag, Bundesrat bis hin zu einigen Landtagen, gegengesteuert. Die Entwicklung in Europa hat natürlich auch etwas mit politischen Mehrheiten im Europaparlament zu tun.
Wer sein Wasser weiter von den Stadtwerken beziehen möchte, sollte also SPD wählen?
Natürlich ist es immer schön, wenn Menschen die SPD wählen. Es ist wichtig, dass nicht nur reine Wirtschaftsinteressen vertreten werden.
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