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Mit der Welt im Gleichgewicht
Foto: © kasto / fotolia.com

„Warum gibt es in der westlichen Welt kein Bruttonationalglück?“

30. April 2015

Glücksministerin Gina Schöler über die Entwicklung ihres erfolgreichen Projektes – Thema 05/15 Glück

trailer: Frau Schöler, woher kam die Idee, das „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ zu gründen?
Gina Schöler: Die Idee entstand im Dezember 2012, als ich Kommunikationsdesign im Master in Mannheim studierte. Wir haben viele Kampagnen z.B. von Apple und Greenpeace auseinandergenommen und geguckt: Wie machen die das? Wir mussten dann selbst eine Kampagne skizzieren und anreißen. Die Aufgabenstellung war abstrakt, der Professor sagte: „Untersucht mal ein bisschen die Gesellschaft und guckt, wo es hapert.“ Das war zu der Zeit, wo auch der Armutsbericht rauskam. Der Tenor war, da läuft etwas gesellschaftlich schief, was viel soziales Krisenpotential für die Zukunft birgt. Unsere Aufgabe als Gestalter war es, auf kreative, optimistische und kommunikative Art und Weise eine Plattform zu schaffen. Dann kam Bhutan ins Gespräch. Wir fanden es interessant, dass dort ein Gegenpart zum Bruttoinlandsprodukt, also das Bruttonationalglück, existiert und das Wohlbefinden der Bevölkerung anstelle des Wirtschaftswachstums im Fokus steht. Wir fragten uns, warum es das hier in der westlichen Welt nicht gibt und warum es bei uns immer nur um ein größeres Auto oder Haus geht. Wir wollten uns überlegen, was uns fehlt und was wir für ein gutes Leben brauchen.

Wie ging es dann weiter?

Gina Schöler

Foto:Marco Justus Schöler

Kommunikationsdesignerin Gina Schöler (28) gründete 2012 das „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“ als Studienprojekt an der Hochschule Mannheim und führt es seit ihrem Abschluss allein weiter. Als Glücksministerin organisiert sie öffentliche Aktionen und bietet Workshops an. 

Alles hätte dann auch wieder in der Schublade verschwinden können, wenn ich nicht mein Herz daran verloren hätte. Ich wollte mich da rein fuchsen. Mein Kommilitone Daniel und ich haben das als gemeinsame Masterthesis bis Oktober 2013 weitergeführt. Seitdem leite ich das Ministerium als selbstständige Glückministerin, weil es mein Herzensprojekt geworden ist.

Demokratisch gewählte Ministerin?
Selbsternannt! Einer muss den Job ja machen (lacht). Ein Teil der Kampagne war das Motto „Deutschland sucht den Glücksminister“. Wir fragten: Wer könnte das sein? Immer mehr Leute haben bei Befragungen gesagt „Warum suchst Du denn? Du bist es doch schon! Guck doch mal wie Du das machst und lebst!“. Das habe ich dann angenommen und seitdem steht es auf der Visitenkarte.

Wie passt etwas Persönliches wie Glück mit der bürokratischen Form eines Ministeriums zusammen?
Der Ursprungsgedanke wurde von der Happiness Commission in Bhutan, die sich mit Bürgerumfragen und mit dem Messen des Glücks beschäftigt, abgeleitet. Wir fragten uns, wie eine solche Institution in Deutschland aussehen würde und wollten Funktion und Aufgaben zur Diskussion stellen. Dadurch ist die Metapher der Politik entstanden. Abgesehen davon ist das medial gesehen ein super Aufhänger und Türöffner. Egal, wo man mit diesem Bild ankommt, die Leute kommen ins Stocken, Lachen und belächeln auch, aber es fängt auch sofort an zu rattern „Was wäre wenn?“. So lässt sich die Brücke zu der Frage, ob Glück in der Verantwortung der Politik liegt bis in das Private hinein, gut schlagen. Die Politik kann gute Grundvoraussetzungen für das persönliche Glück bieten. Wie die aussehen sollten, wird seit dem 13. April deutschlandweit im Rahmen der Bürgerdialoge diskutiert.

Sie meinen die Bundesinitiative „Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist“?
Ich habe mich als Veranstalterin für einen der Bürgerdialoge beworben und wurde daher zum Auftaktevent eingeladen. Die Regierung realisiert gerade, dass man mal hinhörensollte. Ich habe erst sehr spät und nur durch einen Glücksforscher von der Initiative erfahren. Da hätte die Regierung kommunikativ ruhig aktiver sein können. Zumal es ja alle betrifft. Dafür, dass es eine Veranstaltung zum Bürgerdialog war, kam der Dialog auch etwas kurz. Es gab nicht mal eine Fragerunde. Ich will aber auch nicht mosern. Es war ja auch nur der offizielle Startschuss und ich bin froh, dass irgendetwas passiert. Zugleich finde ich es traurig, dass die Regierung auf der offiziellen Facebookseite der Initiative von allen Seiten so massiv und böse angegangen wird. Wie sie es machen, machen sie es falsch. Die, die da meckern, können gerne zu den Dialogen kommen und loslegen, dafür sind diese ja gedacht.

Wolfgang Schäuble hat 2013 über ihr Ministerium gesagt: „Ich halte es für gefährlich, eine staatliche Einrichtung haben zu wollen, die für mein Glück sorgen soll (…) da sind wir schnell in einer Diktatur.“ Hat er recht?
Herr Schäuble hat das zu ernst genommen. Wir wollten es ja nicht sofort politisch aufziehen, uns ging es zunächst darum, die große-kleine Frage nach dem persönlichen Glück zu stellen. Ich warte erst mal ab, wie sich der Bürgerdialog entwickelt. Hier gibt es wie gesagt auch viele kritische Stimmen. Ich wäre froh, wenn es irgendwann mal eine Institution oder ein Amt geben würde, das ein bisschen darauf achtet, dass es nicht immer nur um Wirtschaftswachstum geht. Ob das dann auch Ministerium für Glück heißt und wofür das zuständig sein könnte, wird man dann sehen. Ich finde, der Staat kann die Rahmenbedingungen schaffen, damit jeder sein individuelles Glück finden kann, einen Wertewandel anstoßen und die Möglichkeit geben, darüber zu reden.

Ich merke das bei den vielen kleinen Aktionen und Workshops. Viele Menschen haben sich mit ihrem Glück noch nie auseinandergesetzt und brauchen einen kleinen Schubs, damit mal der Groschen fällt. Dann sind die Menschen meist unfassbar dankbar, weil sie merken, da stellt jmd. Fragen und hört zu. Aber politisch will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. In erster Linie bin ich Kommunikationsdesignerin.

Dann kommen wir doch zum Projekt zurück. Welche Ziele hat das Ministerium und wie sollen diese erreicht werden?
Das grundsätzliche Ziel ist es, so viele Menschen wie möglich – ich möchte das jetzt gar nicht auf ein bestimmtes Alter, die Höhe des Einkommen oder geografisch begrenzen – zu erreichen und auf bunte Weise zu inspirieren, sich mit dem persönlichen oder gesellschaftlichen Glück auseinanderzusetzen, anzupacken und mitzumachen. Ich will das in den Raum stellen und schauen, wie die Menschen dann damit weitermachen. Ein bisschen positive Revolution. Das geschieht z.B. mit kleinen Aktionen wie der erste Hilfe-Glücksbox. Ich habe das streetart-mäßig gestartet und seitdem trudeln jeden Tag zig Mails von Menschen ein, die so eine Box haben wollen. Um sie zu füllen oder zu verschenken.

Das klingt nach viel Arbeit. Organisieren Sie das Projekt ganz allein?
Ich hätte gerne ein Team, aber so regelmäßig kommen dann auch noch keine Aufträge, dass ich ein solches auch finanzieren könnte. Als Ministerium bin ich tatsächlich allein. Aber je nach Aktion, Auftrag und Idee stelle ich mein individuelles Team zusammen. Z.B. bin ich mit einer Psychologin an Schulen unterwegs. Wenn es um Streetart-Aktionen geht ist auch schon mal der Nachbar dabei. Da sind dann viele unterschiedliche Botschafter der Glücks involviert.

Zum Thema Glück hat sich eine regelrechte Industrie von Ratgeberliteratur bis zum Coaching etabliert. Sehen Sie die Gefahr der Kommerzialisierung von Glück?
Das ist eine schöne Frage, die immer aufkommt, wenn man tiefer in die Materie geht. Ich habe erstmals darüber nachgedacht, als ich mir die Frage gestellt habe, wie es weitergeht und ob ich damit auch Geld einnehmen kann, weil mir auch Kosten durch das Ministerium entstehen. Ich hatte auch Bauchschmerzen und versuche, einen Mittelweg finden, das nicht zu sehr zu vermarkten und zu kommerzialisieren. Ich bin aber selbst überrascht von der Explosion der Glücksbranche-Welle. Das Thema wird ökonomisch ausgeschlachtet.

Wie laufen die Seminare und Workshops, die sie in Schulen, aber auch in Unternehmen anbieten, ab?
Die Workshops laufen komplett unterschiedlich ab. Es geht darum, Fragen zu stellen und Impulse zu geben. Für Veränderungen müssen dann die Unternehmen – wie auch die Politik – Grundvoraussetzungen schaffen.

Kümmern sich Unternehmen nicht nur um die Zufriedenheit ihrer Angestellten, um deren Produktivität zu steigern?
Ich schätze es eher so ein, dass die Unternehmen in letzter Zeit merken, dass sie irgendwas machen müssen, da sonst immer mehr Leute wegbrechen. Das Wort Burnout muss ich dafür gar nicht erst gebrauchen. Es geht dabei meines Erachten nicht um noch produktivere Mitarbeiter, sondern um Prävention, damit nicht noch mehr krank werden. Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Unternehmen noch überfordert sind. Vielen ist auch noch gar nicht bewusst, dass gute Mitarbeiterführung etwas Essentielles ist. Aber das ist nur eine persönliche Einschätzung.

Die Glücksindustrie expandiert, gleichzeitig nimmt die Zahl von Menschen, die an Depressionen oder Burnout leiden, zu. Besteht da ein Zusammenhang?
Diejenigen, die wirklich davon betroffen sind, suchen natürlich nach Alternativen. Interessanter finde ich aber, dass unser Projekt auch viele Menschen anspricht und begeistert, die von solchen Problemen gar nicht betroffen sind, sondern vielleicht auch vorbeugen wollen, was ja noch viel besser ist. Ich sehe da aber einen Zusammenhang, denn wenn es um die Ursachen für Burnout und ähnliche Erkrankungen geht, wären wir eben wieder beim Wertesystem und bei der Gesellschaft. Der Leistungsdruck wächst, ebenso der Zeitdruck. Ich merke das besonders, wenn ich in Schulen unterwegs bin. Die Kids drehen da durch, manchmal fangen sie sogar an zu weinen, wenn man bestimmte Dinge anspricht. Die haben keine Zeit für Hobbies und wenn, sind es welche, bei denen sie wieder Leistung erbringen müssen. Zeitverschwenden und Langeweile haben gibt es da nicht mehr. Der nächste Schritt wäre dann Chinesischunterricht im Kindergarten.

Welche Werte müssten sich in der Gesellschaft verändern, damit wir glücklicher werden?
Die Erfahrungen, die ich beim Projekt sammeln konnte und meine persönlichen Vorstellungen gehen da in eine ähnliche Richtung. Das Miteinander und nicht das Konkurrenzdenken müssen stärker werden. Ich meine diesen Gedanken, selbstlos zu helfen, weil ich gerade etwas geben will, anstatt mich nur um mich selbst zu kümmern. Sich Zeit zu nehmen, mit dem Nachbarn zu reden, spontan jemanden einzuladen. Das fehlt den Menschen und das würde ich zuerst nennen. Die Wegwerfgesellschaft erstreckt sich ja auch auf das Zwischenmenschliche, siehe Tinder (mobile Dating-App, Anm. der Red.). DaDa sind Liebe und Beziehung ein Wegwerfprodukt. Das finde ich sehr abartig. Ich bin auch ein großer Fan der sozialen Nachhaltigkeit. Wenn wir uns darum mehr bemühen, kommt auch die ökologische Nachhaltigkeit automatisch ins Spiel, da wesentliche Dinge wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Denn wenn ich bestimmte Dinge nicht tue, können meine Kinder morgen nicht gut leben. Die Frage ist: In welcher Gesellschaft wollen wir heute leben und wie sieht die von morgen aus? Statt zu sagen: ich will jetzt glücklich sein, nach mir die Sintflut.

Sie lachen viel und wirken glücklich. Haben Sie ein Patentrezept?
Es gibt eine Glücksstatistik von Sonja Lyubomirsky, die ich gerne aufgreife. Stellen Sie sich ihr persönliches Glück als 360°-Kreis vor. Davon sind 50 Prozent genetisch vorbestimmt, ob sie ein positiver oder pessimistischer Mensch sind. Und ich habe bei den 50 Prozent Glück gehabt. 10 Prozent sind äußere Einflüsse und die anderen 40 haben wir selbst in der Hand. Das Projekt gibt mir viel, es ist jeden Tag abenteuerlich und man kann sich mit Menschen austauschen, verrückte Ideen ausprobieren. Ich bin einfach im Flow und es macht Spaß. Glücklich macht mich auch ein Tag Entschleunigung: keine Termine, Handy aus, raus mit dem Hund bei Wind und Wetter und sich wieder selbst spüren. Was mir vielleicht im Gegensatz zu vielen anderen auch unabhängig vom Stress gut gelingt, ist dass ich im Alltag Kleinigkeiten entdecke, die andere nicht wahrnehmen. Es macht Spaß, diese selbst wahrzunehmen und dann auch noch andere darauf aufmerksam zu machen. Ich bin mein eigener Detektiv der kleinen Dinge.

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Interview: Maxi Braun

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