Kurz vor Zehn an einem Donnerstagabend. Das FZW ist prall gefüllt, dennoch herrscht andächtige Stille. Ein düster-psychedelisches Intro wummert bedrohlich durch den Raum, wie ein Flüstern schleicht der Name derer, die da kommen werden, durch den erwartungsvollen Äther. Das ist der Moment, wo sich im Kino der rote Samtvorhang lautlos öffnet und im Theater die erste Zeile proklamiert wird, wo in eben diesem Augenblick eine Hochschwangere im schwarzen Minifummel martialisch das Mikrophon wie einen Morgenstern schwingend die Bühne stürmt.
Aber der Reihe nach. Die besten Abende sind meist die, an denen man nicht die geringste Lust hat, sich überhaupt noch aus dem Haus zu hieven. An einem Donnerstag, wohl wissend dass der Wecker am folgenden Morgen noch vor sieben Uhr klingeln wird. Aber versprochen ist versprochen, also ziehe ich den Kragen der Jacke bis oben zu, klammere mich an mein Wegbier und tapere ins Dortmunder FZW.
Ein bisschen vertreiben schon die ersten Takte von The Static Age aus Chicago die Unlust. Bieten sie auch weniger den angekündigten, melodisch-düsteren Post-Punk-Wave, sondern gut gemachten, konventionellen Indie-/Alternative Rock. Während der Umbaupause erfreuen The Special Asians auf der kleinen Bühne im Foyer mit skurrilen Einlagen im doppelten Sinne. Wer öffentlich nichts als eine Windel trägt, braucht auch eine Maske, logisch. Dabei klampft das Duo fröhlich und absurd auf Ukulele und Keyboard herum. So muss die Karibik in der Fantasie eines Fetischisten aussehen.
Der solide Deutschpunk von Radio Havanna aus Berlin im Anschluss wird von einer kleinen Truppe tapferer Fans flankiert. Ein zierliches Mädchen knallt wie eine Amok laufende Flipperkugel durch den noch großzügigen Pogopit. Ich zolle ihr anerkennend und nickend vom Rand aus Respekt.
Die Spannung steigt mit Radio Havanna. Foto: Felix Wirtz, bierschinken.net
Die Erwartung für die Hauptattraktion des Abends steigt. Eine im Gegensatz zum letzten Bierschinken eats FZW-Festival beeindruckende Masse hat sich rauchend und die frische Frühlingsluft genießend draußen versammelt. Nur langsam reißen wir uns von den uns kritisch beäugenden Goldfischmonstern los, die von der Videoinstallation des Dortmunder U hypnotisch herab schielen. Ein wahrlich wilder Trip erwartet uns.
Der schwedischen The Baboon Show eilt der Ruf als eine der derzeit besten Live-Bands voraus und das mit Recht. Niclas Sevensson malträtiert mit langer blonder Mähne unter der Dienstbotenmütze sein Schlagzeug. Bassistin Lisa Bünger, seit zwei Jahren dabei, beherrscht völlig ungerührt von den Eskapaden ihrer Frontfrau ihr Instrument und Håkan Sörle glänzt an der Gitarre. Musikalisch wie optisch bieten sie das Passepartout für das wilde Treiben von Frontfrau Cecilia Boström. Egal ob ältere Songs wie „Faster Faster Harder Harder“ oder die aktuellsten Stücke von „Punk Rock Harbour“ und „People´s Republic Of The Baboon Show Formerly Known As Sweden“, jeder Song klingt sofort wie ein Klassiker. Dass die Texte auch noch clever und durchaus politisch und kritisch daherkommen, geht bei der Bühnenshow ein wenig unter. Aber dafür gibt es Studioalben, in denen der Mix aus Punkrock und Garagesound nicht weniger wirkt.
Bandname und Titel des letzten Albums sind angeblich Anspielungen auf Gebaren der schwedischen Regierung, obwohl sich auch Cecilia bisweilen wie ein wild gewordener Pavian gebärdet. Sie tollt und wütet so energetisch durch ihre durchgeknallte Bühnenshow, wie es andere Leadsinger, auch ohne im offensichtlich fortgeschrittenen Monat schwanger zu sein, nicht vermögen würden. Während wir zu ihren Füßen schwitzen, perlt aus jeder ihrer Poren Charisma. Ihr rotziges Timbre und der dreckige Sound von Songs wie „Ref and the red Car“ oder „Lose your Head“ ergänzen sich perfekt, manchmal brüllt sie auch einfach nur guttural ihrem Publikum ins Gesicht.
Es gibt Situationen, in denen man zu seinem Glück gezwungen werden muss und diese grandiose Ausgabe des Bierschinken eats FZW-Festivals gehört dazu. Neben Talco, die im Januar in der Kaktusfarm einen ersten Höhepunkt lieferten, sind The Baboon Show ein Konzerthighlight 2013, das schwer zu übertrumpfen sein dürfte. Muss man gesehen haben!
Z.B. hier: Ruhrpott Rodeo mit Ska-P, Black Flag, U.K. Subs, The Baboon Show, Mad Sin, Dritte Wahl u.v.a. | Sa./So. 18.-19.5. | Hünxe/Bottrop, Flugplatz Schwarze Heide | www.ruhrpott-rodeo.de/de
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