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Kämpft um ihren Mann und die Meinungsfreiheit: Ensaf Haidar
Foto: Amnesty International / Henning Schacht

Einer von vielen

28. Mai 2015

Raif Badawi ist immer noch in Haft, die Befreiungskampagne geht weiter

„No flogging today“ schreibt Ensaf Haidar seit nunmehr vier Monaten jeden Freitag in ihrem Twitteraccount. Hier und in anderen sozialen Netzwerken hat sich eine überwältigende Gemeinschaft rund um die Frau des saudischen Bloggers Raif Badawi versammelt. Die zugehörigen Hashtags #freeraif, #stopfolter und #iamraif sagen dabei mehr als tausend Worte. Auch Ensaf Haidars Message ist einfach: Ihr Mann habe nichts falsch gemacht, wird zu Unrecht bestraft und muss sofort freigelassen werden.

Der 31-jährige Raif Badawi sitzt seit drei Jahren im Gefängnis, da er sich im eigenen Blog und in anderen Medien für ein modernes, säkulares Saudi Arabien und Frauenrechte ausgesprochen hatte. Die offizielle Anklage: Apostasie, der Abfall vom islamischen Glauben, worauf in Saudi Arabien die Todesstrafe steht. Badawi wurde zuletzt zu 10 Jahren Gefängnis und 1000 Peitschenhieben verurteilt.

Die Kampagnen, die seine Freilassung fordern, spielen sich heute größtenteils an der gleichen Stelle ab, an der Badawi damals begonnen hatte – in sozialen Netzwerken und digitalen Medien, auch wenn sein Blog inzwischen aus dem Internet entfernt wurde. Hier ist der Ort, an dem weltweite Partizipation möglich ist – zugegebenermaßen unkomplizierter und schneller, als das noch vor 20 Jahren der Fall war (ein paar Klicks reichen, um eine Petition für Badawis Freilassung zu unterschreiben, ebenso wie für das Teilen von Kampagnenfotos und Hashtags über Twitter, Facebook und Co.).

Dass dies nicht ausreicht, zeigt die ständige mediale Präsenz von Ensaf Haidar und Amnesty International vor saudischen Botschaften und in amerikanischen und europäischen Medien. Zuletzt übergab sie am 22. Mai in Berlin der saudischen Botschaft rund 97.000 Unterschriften gegen die Folter ihres Mannes. So fungiert Ensaf Haidar als Gallionsfigur und versucht mit ihrer Präsenz, den Fall Badawi im Gedächtnis von Politik und Öffentlichkeit zu halten. Die Mobilisierung so vieler Menschen soll dabei den Druck auf die saudische Regierung erhöhen. Als gutes Zeichen wird dabei laut Amnesty International das Aussetzen der Prügelstrafe seit den ersten 50 Peitschenhieben am 9. Januar gesehen – das offiziell aus gesundheitlichen Gründen geschieht.

Die saudische Regierung verbittet sich jedoch jegliche Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten – der Fall habe nichts mit wirtschaftlichen oder politischen Beziehungen zu tun. Amnesty International fordert hingegen die Bundesregierung auf, die Verletzungen gegen Menschen- und Völkerrecht gerade verstärkt in die Verhandlungen dieser Art einzubringen.

Es bleibt fraglich, ob es sich bei den Bekundungen von Politikern für den Blogger – wie von Sigmar Gabriel im März – nicht eher um eine innenpolitische Maßnahme ohne außenpolitische Chance auf Erfolg handelt. Auch die Politiker selbst bezweifeln, dass auf diese Weise mit einer Aufhebung des Urteils zu rechnen ist. Hier wird einmal mehr deutlich, dass aus Sicht der Politik oftmals wirtschaftliche Fragestellungen ethische Bedenken überlagern. Es ist eben ein schmaler Grat zwischen diplomatischer Toleranz und moralischer Verantwortung im Umgang mit uns fremden Regierungs- und Glaubenssystemen.

Kritiker stellen die Frage, wieso gerade Raif Badawi so viel Aufmerksamkeit zuteil wird – immerhin sei er nicht der einzige, der sich in seinem Land für die Menschenrechte eingesetzt habe und dafür hohe Strafen verbüßen müsse. Dem ist zu entgegnen: Es ist eben die Wechselwirkung zwischen öffentlicher Partizipation, enormer Unterstützung durch Menschenrechtsorganisationen, Ensaf Haidars medialer Präsenz und der Aufmerksamkeit politischer Vertreter und Gruppen, die diese Dynamik der Solidarität mit Raif Badawi ausmacht.

Aber gleichzeitig fungiert Badawi auch als Symbol und Beispiel für die große Kluft im gegenwärtigen Saudi Arabien zwischen der konservativ-traditionellen Regierung, die sich ganz dem islamischen Glauben verpflichtet, und der fortschreitenden Modernisierung in einer sehr jungen Gesellschaft, die wie Badawi nach Veränderung verlangt.

Badawi selbst wünschte sich im Zuge des arabischen Frühlings eine aufklärerische Revolution, die sich gerade nicht an europäischen Modellen orientiert, jedoch moderne Forderungen nach Meinungsfreiheit und Menschenrechten in das alltägliche Leben Saudi Arabiens integriert. In diesem Sinne wäre seine Freiheit ein erster Schritt in die richtige Richtung und hätte das Potenzial, den Blick der Öffentlichkeit auf die vielen weiteren Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt zu richten.

www.stopfolter.de/

Julia Reiker

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