Ich weiß noch, wie mein Vater immer die Augen verdrehte, wenn ich ihn als Kind mit ins Kino schleifte. Er dachte weniger an den jeweiligen Film denn an seine armen Knie. Eingeklemmt zwischen Sitzreihen und Getränkehaltern ertrug er tapfer die von mir ausgesuchten Werke. Er war dann aber heilfroh, endlich wieder vor die Tür zu kommen. Mit Knoten in den lädierten Knien wankte er zurück auf die Straße wie Jerry Lewis, während ich noch in Ruhe die Voranzeige-Plakate studieren wollte.
Die Zeiten haben sich geändert und der Trend geht zu immer mehr Platz für den eigenen Sessel. Mitunter muss man seinem Nachbarn sogar zuwinken oder zurufen, weil einhaken oder Händchenhalten in den sogenannten „Luxuskinos“ unmöglich geworden ist. Die Nebenfrau und der Nebenmann sitzen einfach zu weit weg. Der Kinogänger von heute will offensichtlich nicht gestört werden und die Beine lieber auf einen Hocker legen. Dass selbst Premieren mittlerweile in diesen Räumen mit „Laying Ovations“ veranstaltet werden, lässt einen ratlos zurück. Während Regisseure und Stars stehend von ihrer oftmals aufreibenden Arbeit erzählen, fläzt sich der moderne Besucher im extrabreiten Sessel. Aus gebührendem Respekt würde ein Herr Knigge aufstehen und um einen Klappstuhl bitten.
Es gibt aber auch Gegenmaßnahmen zur Vereinzelung im Kinosaal. Die Ende der 1980er Jahre erstmals installierten „Love Seats“ ohne Zwischenlehne werden weiterhin in vielen Theatern eingebaut. Sie erinnern daran, dass das Kino, völlig unabhängig vom angebotenen Film, auch mal ein wunderbarer Ort zum konkreten Berühren einer anderen Person im Dunkeln war.
Dass das Publikum durchaus zum Gelingen eines Filmabends beiträgt, sollten nicht nur Kinobesitzer bei der abendlichen Abrechnung wissen. Seinen Nebenmann zu beobachten, wenn auf der Leinwand gerade eine spektakuläre Verfolgungsjagd läuft oder ein frecher Spruch geäußert wird, macht das Kinoerlebnis doch erst interessant. Und die durchs Kino fegenden Lachstürme bei einer gelungenen Komödie sind nur dann effektiv und unvergesslich, wenn die Leute möglichst dicht sitzen. Lachen muss man hören und auch spüren können.
Überhaupt wird den MitguckerInnen heutzutage zu wenig Beachtung geschenkt. Alles mosert zwar über laut redende Teenager oder Handyklingeln während der Vorstellung, aber vielleicht sind daran eben auch die zu breiten, zu bequemen Sessel schuld. Vielleicht sollten die Kinos doch wieder etwas enger bauen, zumindest zur Seite hin. Denn wenn das Kino tatsächlich ein Ort des Austausches und der Kommunikation bleiben soll, bedeutet das auch, den Abstand zum Nächsten nicht zu groß werden zu lassen. Das Ledersesselkino für Sozialphobiker mag denen in die Hände spielen, die im Theater gerne absolut ungestört sein wollen und sonst nur alleine in ihrem Wohnzimmer hocken. Aber ganz ehrlich: Dreht sich im Kino auf und vor der Leinwand eigentlich nicht alles darum, mit anderen Menschen in Interaktion zu treten?
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wofür wird Kino gemacht?
Filme!!
Wer kennt nicht an diesen Werbespruch, der eigentlich alles sagt!
Es scheint mir sehr merkwürdig und weit hergeholt, wegen der Beobachtung und "Interaktion" (falscher begriff, alle reagieren, interagieren nicht!) anderer Menschen ins Kono zu gegen?! ?? (vielleicht als Soziologe oder Psychologe..) Sich über zu nahe sitzende, laute oder kommentierende (fremde!) Leute zu freuen?
Hoffe, dieser Kommentar ist sarkastisch gemeint bzw. als Provokation.. Ich für meinen Teil - und alle die ich kenne - hßgehen ins Kino, um Filme zu sehen! Auf großer Leinwand, mit entsprechndem Sound! Um Leute zu beobachten (und ganz eng miteinander zu sitzen) kann man sich in die Bahn setzen..
Grüße,
Günter
Was läuft im Kino?
Über die Programmierkunst echter und gespielter Helden – Vorspann 03/24
Prognose: Lachstürme
Die Komödie findet endlich ins Kino zurück – Vorspann 02/24
Emanzipation und Alltag
Starke Protagonistinnen im Januar – Vorspann 01/24
Was vom Kinojahr übrig bleibt
Rückblick 2023 – Vorspann 12/23
Lost Place – Found
Vor 10 Jahren feierte das Hamburger Rialto ein zweites Leben – Vorspann 11/23
Künstler:innenportraits im Oktober
Neue Filme von Margarethe von Trotta und Wim Wenders – Vorspann 10/23
„Barbenheimer“ goes Artiplex
Lösen sich die Kinounterschiede auf? – Vorspann 09/23
Die Geschichte eines „Wochenendes“
Herr Schier und seine Agenturen – Vorspann 08/23
Kein Sommerloch in Sicht
Mit Blockbusterkino und Open Air – Vorspann 07/23
Cannes kann
Neue Werke von Hausner und Glazer an der Croisette – Vorspann 06/23
Die Scheiben des Kinos
Vom Zauber der Gebäude und Menschen – Vorspann 05/23
Endlich wieder in voller Blüte
Das Filmfestival-Comeback im April – Vorspann 04/23
The Monk And The Gun – Was will der Lama mit dem Gewehr?
Start: 1.8.2024
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Bären für NRW-Filme?
21. NRW-Empfang im Rahmen der 74. Berlinale – Foyer 02/24
Die Unschuld
Start: 21.3.2024
Ghostbusters: Frozen Empire
Start: 21.3.2024
Kleine schmutzige Briefe
Start: 28.3.2024
Andrea lässt sich scheiden
Start: 4.4.2024
Ein Glücksfall
Start: 11.4.2024
Evil does not exist
Start: 18.4.2024
Sterben
Start: 25.4.2024
Zwischen uns das Leben
Start: 1.5.2024