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Die Frau im Machtgefüge der Katholischen Kirche. Marta Górnicka dirigiert „Magnifica“
Foto: Krzysiek Krzysztofiak

Keine Bewegung ohne Stimme

30. Mai 2012

Musikerin und Theaterregisseurin Marta Górnicka versammelt für den „Chor der Frauen“ 25 Frauen unterschiedlichen Alters und Berufs – Premiere 06/12

Flüsternd, schreiend, zischend und lachend unternehmen Frauen den Versuch, auf dem Wege der Kollision mit kulturellen Leitbildern und Vorstellungen von Weiblichkeit die Stimme der Frauen wiederzugewinnen und neu zu erschaffen. Der Chor zeigt die Sprache als Macht- und Herrschaftsinstrument, auch als Mittel der Gewalt. Er häuft Zitate bis an die Grenze des Erträglichen, legt Sprengladungen unter die Sprache, jagt sie in die Luft oder entschärft sie durch Gelächter. Allen voran Marta Górnicka, die ihre komplexe Partitur selbst dirigiert. Im zweiten Projekt „Magnificat“ setzt sich der Chor der Frauen mit der Stellung der Frau im Machtgefüge der Katholischen Kirche auseinander. Mit Texten, die weder heilig noch profan sind, erklingt eine vielstimmige popkulturelle Lobpreisung, ein Magnificat. Die Musik wird in Samples zum Hintergrund-Sound für Texte aus der Kunst und der Werbung, zu einem ideologisch-akustischen Remix. Die Jungfrau Maria steigt herab vom Sockel des Heiligenbilds. trailer sprach mit Marta Górnicka in Warschau.

Marta Górnicka
Foto: privat
Die in Warschau geborene Marta Górnicka ist Regisseurin und Sängerin, Absolventin der Aleksander Zelwerowicz Theaterakademie in Warschau und der Warschauer Musikhochschule Frederic Chopin. Sie studierte außerdem an der Universität Warschau und an der Staatlichen Theaterhochschule in Krakau. Ihr Film „Gier. Versuch einer Aufzeichnung nach Sarah Kane“ wurde auf dem Odkryte/Zakryte Festival in Warschau erstmals gezeigt. Als Sängerin absolvierte sie zahlreiche Solokonzerte und nahm für das Polnische Radio ein Album mit Liedern von Astor Piazolla auf. Seit 2010 arbeitet sie mit dem Theaterinstitut Warschau zusammen, wo sie in den Aufführungen des „Frauenchors“ Regie führt und eine neue, eigene Form des Chortheaters entwickelt.

trailer: Frau Górnicka, wann beginnt der Aufstand der Frauen in der Gesellschaft?
Marta Górnicka:
Der „Chor der Frauen“ ist der Versuch eines neuen Chortheaters. Der Feminismus hat eine lange Geschichte, die Geschichte eines revolutionären Umbruchs in der westlichen Kultur. Die wichtigsten politischen und bürgerlichen Rechte wurden hier von der Frauenbewegung bereits erkämpft. Im globalen Maßstab sieht das selbstverständlich anders aus. Wir verlassen jedoch nicht die Ebene des unmittelbaren politischen Kampfes. Es geht uns dabei nicht um eine Revolution im wörtlichen Sinne, sondern vielmehr um eine kontinuierliche Kulturarbeit. Wir demonstrieren weibliche Stereotype, die in der Kultur präsent sind und sich vor allem in der Sprache manifestieren. Mit dem Chor wollen wir Sprachklischees hinterfragen, sie bloßstellen, neutralisieren, u. a. auch auf eine lustige und spielerische Weise. Ich habe ein ironisches Verhältnis zum Kampf. „Eine Revolution kann man überall starten ... sogar in der eigenen Küche“ – sagt eine Stimme in „Chor der Frauen“. Wir spielen also mit dem revolutionären Potenzial.

Ursprünglich hatte der Chor eine begleitende Funktion. Was macht ihn revolutionär?
Im griechischen Theater begleitete der Chor die Hauptfiguren, er bestand ausschließlich aus Männern. In meinem Theater ist der Chor die einzige und zentrale Figur auf der Bühne – eben das ist das Revolutionäre – der Chor wird zu einem Subjekt. Für mich bestand der erste Schritt, um den Chor für das heutige Theater zurückzugewinnen, darin, die Frauen für den Chor zurückzugewinnen. Mein Chor ist keine homogene, einstimmige Masse, sondern eine Ansammlung äußerst unterschiedlicher Charaktere. Ich distanziere mich von der Tradition des einstimmigen Chors. Der „Chor der Frauen“ handelt nicht ausschließlich unisono, sondern auch in Form von Duos, Trios, Solos ...

Warum wurde der Chor als Ereignis immer wichtiger, ähnlich bei Einar Schleef oder René Pollesch?
Sowohl Pollesch als auch Schleef haben ein völlig anderes Verständnis von der Rolle des Chors, sie entwickeln eigene Varianten des Diskurses zu diesem Thema. Das, was mich am meisten am Chor interessiert und worin ich immer seine ungeheure Kraft gespürt habe, ist ein gewisses tragisches Potenzial, das sich durch die Konfrontation unterschiedlicher Sprachstile aktivieren lässt. Der Chor besteht aus 25 Frauen, die unterschiedlichen Berufen nachgehen und in unterschiedlichem Alter sind, Frauen, die flüstern, schreien, röcheln, lachen, singen und die durch das Spiel mit weiblichen Stereotypen ein subversives Potenzial aktivieren. Mithilfe des Chors rufe ich eine besondere Spannung hervor, eine Spannung zwischen den individuellen Körpern der einzelnen Choreutinnen und dem System, dem Sprachapparat, den ich auf der Bühne in Gang setze. Ein solcher Chor hat eine besonders starke Wirkung auf den Zuschauer. Durch den Verzicht auf den Chor hat das zeitgenössische Drama auch ein gewisses tragisches Potenzial aufgegeben.

Texte zwischen Antigone, Jelinek und Kochrezepten. Was ist der rote Faden darin?
Weil es in der Kultur keine neutrale Sprache gibt, keine Sprache, in der Frauen nicht auf eine ideologisierte Art und Weise beschrieben werden (die Sprache der Werbung ist z. B. oppressiv, sie schreibt uns vor, wie wir sein sollen: „Sei sexy“, „Sei jung“ usw.), musste ich nach etwas völlig Neuem suchen. Ich habe mich dafür entschieden, völlig unterschiedliche Sprachstile und Diskurse miteinander zu mischen: die Sprache der Werbung, Kochrezepte, Fragmente aus Filmen und Märchen, Computerstimmen, die Sprache der Philosophie. Ich glaube daran, dass diese Strategie der Vermischung wie ein Bombenattentat auf die Sprache wirkt, dass sie eine szenische Explosion bewirken kann. Ich entwickle kein lineares Skript, sondern arbeite mithilfe von ganz bestimmten Kontrapunkten, in denen die Texte sich gegenseitig erhellen oder in einen intensiven Dialog miteinander treten. Antigone, die „lebende Tote“, wird mit Elfriede Jelineks Stück „Der Tod und das Mädchen“ und dessen Diagnose des Weiblichen als Tod konfrontiert. Das hat einen ganz konkreten dramaturgischen Ablauf: Die Sprache wird zunächst als eine Kraft präsentiert, bis sie im Finale schließlich ausgespuckt, ausgekotzt wird. Der Sprachapparat explodiert, und vielleicht entsteht daraus eine neue Sprache, oder vielmehr der Traum von einer solchen. In meinem Chor, den ich persönlich als modernen tragischen Chor bezeichne, ist die Grundsubstanz das Wort, nicht der Ton. Wir verwenden eine eigens zu diesem Zweck geschaffene rhythmische Sprache, die an Computerstimmen erinnert.

Wie wichtig ist die Choreografie bei der Performance?
In meinen Aufführungen spielt die Bewegung eine große Rolle, sie ist immer auch an die Stimme gekoppelt. Auch der Körper ist gewissermaßen eine Stimme. Ich behandle Körper und Stimme nicht getrennt, und das wird in meinen Stücken deutlich sichtbar. Auf der Bühne nenne ich das „Körper/Stimme“. Die Performerinnen stehen barfuß mit entblößten Schultern da, sie demonstrieren die Kraft des Körpers auf der Bühne. In der Aufführung bilden sie klare geometrische Figuren, manchmal auch Zeichen. Die Choreografie ist wichtig, jedoch nicht in dem Sinne, dass sie ausschließlich die Bewegung auf der Bühne beschreibt – Bewegung ohne Bezug zur Stimme existiert für mich nicht.

Interview: DAWID KASPROWICZ/PETER ORTMANN

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