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Foto: Francis Lauenau

„Jede Stadt hat ihr eigenes Flavour“

29. März 2012

Mike Litt über künstliche Orte und elektronische Musik im Ruhrgebiet - Über Tage 04/12

trailer: Herr Litt, hatten Sie eine schöne Jugend im Ruhrgebiet?
Mike Litt:
Ich lebte in Dorsten-Barkenberg. Früher hieß die Stadt, die Ende der Sechziger Jahre aus dem Boden gestampft worden ist, „Neue Stadt Wulfen“. Man hatte damals gedacht, dass man den Steinkohlebergbau bis ins Münsterland betreiben kann. Mit viel Engagement und vielen Utopien wurde die „Stadt ohne Kamine“, so nannte man Barkenberg damals auch, aufgebaut. Kohle wurde dann zwar nicht abgebaut. Aber es waren viele verschiedene Menschen aus dem Ruhrgebiet bereits dorthin gezogen, und so ist aus Barkenberg ein interessanter Schmelztiegel geworden.

Und da wurde der Mike Litt das, was er jetzt ist?
Barkenberg hat mich schon geprägt. Alles stand damals noch auf null. Das Pferd wurde noch einmal ganz neu aufgezäumt. Es gab da die typische Ruhrgebietskultur. Gleichzeitig war in der Nähe eine Nato-Kaserne mit vielen Engländern.

Eine Kindheit in einer traditionellen heilen Welt wäre für Sie also nicht so zuträglich gewesen?
Natürlich nicht. Allein die Engländer haben eine Menge Schallplatten mitgebracht. Popkulturell ist da viel passiert. Vieles musste man sich selbst erschaffen. Da gab es auch viele 68er, die die Vision hatten, alles anders zu machen.

Was war denn Ihre erste Platte?
Als Kind konnte ich einige Platten so viel malträtieren, wie ich wollte: Doktor Schiwago, Love Story, And here: The Beatles. Meine erste eigene Platte, die meine Schwester mir bezahlt hat, war von Barry White: „What am I gonna do with you“.

Hat diese Platte Sie geprägt? Ihr Genre ist doch eher ein anderes?
Mit viel Phantasie und gutem Willen könnte man diese Platte schon als House-Titel bezeichnen. Sie hat einen straighten Beat. Die Snare-Drum ist sehr markant. Ich hab die Platte so oft abgespielt, dass ich mich gewundert habe, dass sie noch nicht kaputt gegangen ist. Ich höre sie noch immer etwa einmal im Jahr, und wenn ich sie höre, freue ich mich total.

Wie ging es weiter?
Schon vor dem Abitur hab ich als DJ Platten aufgelegt. Parallel dazu hab ich bei den „Ruhr-Nachrichten“ Artikel geschrieben. Seit dieser Zeit arbeite ich an der Schnittstelle von Musik und Journalismus.

Und das führte Sie zwangsläufig zu 1LIVE?

Michael Neil Litt
Foto: Grünberger
Michael Neil Litt wurde in Washington D.C. geboren und kam als Kind ins Ruhrgebiet. Er moderiert verschiedene Sendungen bei WDR 1LIVE und DRadiowissen / Deutschlandradio. Im Herbst erscheint sein erster Roman im Dumont Verlag.

Eher zufällig als zwangsläufig. Ich bin ja nicht der typische Radiosprecher. Aber Radio war immer ein ganz wichtiges Medium für mich. Es war einer der wenigen Kontakte zur Außenwelt, als ich im Internat in Norddeutschland war. Und BFBS war in Barkenberg wichtig, auch wegen den ganzen englischen Soldaten dort. Bei 1LIVE war es so spannend für mich, weil alles bei null anfing, wie zuvor in der „Neuen Stadt Wulfen“. 1995, im ersten Jahr, als aus WDR1 der junge Sender 1LIVE wurde, habe ich dort einen Fuß in die Tür bekommen. Da konnte ich meine Erfahrungen als Autor, Reporter und DJ einbringen und habe noch heute meine Sendungen dort.

Aber bei 1LIVE muss man doch ansonsten sehr jung sein. Nach acht Jahren kommt man da doch eigentlich nicht mehr durch den TÜV?
Ich finde es völlig in Ordnung, dass bei 1LIVE vorwiegend jüngere Leute arbeiten, um ein frisches, junges Programm zu präsentieren. Natürlich ist der Sender zusammen mit seinen Hörern im Laufe der Jahre auch etwas älter geworden. Aber früher war die Grenze zwischen Jungen und Alten krasser. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Leute anfingen, sich mit 30 bei Adler-Moden einzukleiden und von einem Tag auf den anderen 30 Jahre älter aussahen. In so einer Zeit leben wir ja nicht mehr. Ich bin nicht zwanghaft berufsjugendlich. Ich treffe aber anscheinend einen Ton, den die Hörer von 1LIVE hören wollen.

Wie sieht eigentlich die Zukunft der elektronischen Musik im Revier aus?
Die Vielfalt hier ist enorm. Das ist den meisten Menschen gar nicht bewusst. Ich könnte sicherlich über zweihundert Namen nennen von Leuten und Gruppen, die hier etwas machen, Partymusik, aber auch höchst anspruchsvolle Produktionen. Schließlich leben wir in einer riesigen Metropole. Trotzdem hat jede Stadt ihr eigenes Flavour. Leider ist Musik das Kulturgut, das zurzeit am wenigsten Wertschätzung erfährt. Musik wird im Netz verschoben, ohne dass die Musiker etwas davon haben. Ich finde es schlimm, wenn Urheberrechte mit Füßen getreten werden. Es muss eine Möglichkeit geschaffen werden, dass Kreative weiter von ihrer Arbeit leben können.

Musik erfährt wenig Wertschätzung? Aber überall läuft doch Musik.
Nein, wir leben in einer visuellen Welt. Die Bildschirme müssen immer größer werden, und der Klang spielt immer weniger eine Rolle. Allein, wie Musik heute wiedergegeben wird, ist eine Katastrophe. Die Klangqualität der mp3-Dateien, die mühelos im Netz hin- und hergeschoben werden können, ist doch totaler Schrott. Ich arbeite mit WAV-Dateien, die qualitativ Schallplatten oder CDs entsprechen. Ich komme dann in einen Club, und der Veranstalter erzählt mir, dass er so stolz auf seine neue Anlage ist, die 30.000 Euro gekostet hat. Und dann spielen die DJs beschissene komprimierte mp3-Dateien. Ich hab dann allein deshalb schon gewonnen, weil ich eine vernünftige Tonqualität liefere.

INTERVIEW: LUTZ DEBUS

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