Meinungskarten können im Rathaus ausgefüllt und anschließend in den Briefkasten geworfen werden. Die Stadt will so evaluieren, was die Bürger:innen von aktuellen Projekten halten. Was finden sie gut, was nicht? Es soll ein Angebot sein, um die Einwohner:innen bei Bau- und Gestaltungsmaßnahmen mit ins Boot zu holen. Doch nicht nur beim Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung fragt man sich, ob das ausreicht: Wer merkt sich schon die kurzen Kommentare auf den Zetteln? Werden sie überhaupt berücksichtigt? Und warum sitzen in den betreffenden Gremien nicht auch Bürger:innen?
Auch in Bochum erfahren die Anwohner:innen nur zufällig durch die Zeitungslektüre, dass die Stadt Bauvorhaben plant, die sie direkt betreffen. Informiert oder gar gefragt wurden sie nicht. 2018 ging das einigen zu weit, als das Wohnbauflächenprogramm der Stadt Bochum veröffentlicht wurde: Es gründeten sich Bürgerinitiativen, die sich dem Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung anschlossen. 14 Initiativen sind dort aktuell aktiv.
„Wir wollten uns dagegen wehren, dass in Bochum Freiflächen bebaut werden“, sagt Nadja Zein-Draeger vom Netzwerk. „Darüber hinaus wollen wir uns als Bürger an der Stadtentwicklung beteiligen.“ Denn oft gehe diese an den Bedürfnissen der Bürger vorbei. Einige Flächen sollen erschlossen werden, um dort Einfamilienhäuser aus dem Boden zu stampfen. Sozialwohnungen oder altersgerechte Unterkünfte bleiben unberücksichtigt. „Es zielt auf attraktiven und gewinnbringenden Wohnraum, nicht günstig, aber gut zur Vermarktung“ so Zein-Draeger. „Bochum plant an der Zukunft vorbei.“
Ulrike Hohendorff lebt in Bochum Gerthe und bekommt die Folgen solcher Top-down-Planungen zu spüren. Denn mit der Bebauung sollen dort die letzten Grünflächen verschwinden. „Es ist unsinnig und unverständlich, man will uns die letzte Luft wegnehmen“, klagt sie. Denn die Grünflächen dienen gerade auch an Sommertagen als Lunge im Ballungsraum. Stickig könnte es werden, wenn alles zugebaut ist: „Am liebsten würde ich dagegen mit einer Klage wegen Körperverletzung vorgehen.“
Bürgerinitiativen würden oft so dargestellt, als ginge es den Aktiven nur um den eigenen Schrebergarten oder Bäume vor der eigenen Haustür, beklagt Nadja Zein-Draeger: „Das Interesse ist überregional, diese Zuschreibung trifft nicht zu.“ Und Wolfgang Czaprack-Mohnhaupt ergänzt angesichts der weiteren, drohenden Hitzeflächen: „Es geht den Menschen offensichtlich um Klimaschutz, das haben die Bürger erkannt.“
Tatsächlich hat Bochum im letzten Sommer den Klimanotstand ausgerufen. Doch auch dafür sei eine systematische und einheitliche Bürgerbeteiligung notwendig, weswegen das Netzwerk ein Gremium fordert. Dort soll statt den vorgefertigten Meinungskarten ein leeres Blatt auf dem Tisch liegen, um von Anfang an gemeinsam über die Pläne zu beraten. „Bei den Bürgern entsteht das Gefühl, vor vollendeten Tatsachen zu stehen“, kritisiert Andrea Wirtz.
Ergebnisoffen, frühzeitig und transparent – so schwebt den Netzwerk-Aktiven die Stadtentwicklung der Zukunft vor. „Die Pläne sollten dann kontinuierlich veröffentlicht werden, damit die Bürger das sehen können“, sagt Czaprack-Mohnhaupt. Auch das Internet soll dafür genutzt werden. Denn Arbeiternehmer:innen schaffen es nicht immer zu den Infoveranstaltungen der Stadt, die oft spärlich besucht sind. Anders sieht es bei den Bürgerinitiativen aus: Über hundert Anwohner:innen besuchen die Treffen, an einem Abend kamen über 600. Das kann auch die Kommune nicht mehr ausblenden. Es ist ein Etappensieg für das Netzwerk: Sie werden von den Politiker:innen gehört.
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