trailer: Herr Piétron, um das Jahr 2000 herum war das Internet mit idealistischen Hoffnungen verbunden – heute eher mit digitaler Überwachung und der Monopolstellung einer Handvoll Unternehmen. Wie ist es soweit gekommen?
Dominik Piétron: Einzelne Großkonzerne konnten eine enorme Marktmacht entwickeln, ihre Nutzer*innen und Geschäftskunden von sich abhängig machen. Das liegt vor allem an zwei Besonderheiten der Plattformökonomie: Das sind einerseits die sogenannten Netzwerkeffekte, die in der digitalen Ökonomie, mit weniger räumlichen Grenzen, stärker ausgeprägter sind als in anderen Bereichen. Netzwerkeffekte bedeuten, dass die Attraktivität der Plattform immer dann steigt, wenn die Zahl der Nutzer wächst. Wenn beispielsweise bei Amazon mehr Händler ihre Produkte anbieten, hat das einen Nutzen für die Käufer, und andersherum. Das schaukelt sich hoch, bis ein Anbieter weite Teile eines Marktes übernimmt. Der zweite Punkt ist, dass die digitale Ökonomie sehr stark an die Finanzmärkte gebunden ist. Die heutigen Tech-Giganten haben trotz roter Zahlen riesige Summen an Risikokapital von Investoren erhalten und betreiben eine aggressive Markteroberungsstrategie. Startup-Gründe und Investoren hoffen dabei von Anfang an auf eine Monopolisierung der Märkten – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. In der Soziologie nennt man das den Matthäus-Effekt: Wer hat, dem wird gegeben. Die, die am stärksten von sich überzeugen konnten, wie eben Amazon, Google oder Facebook, haben eine Art von Nimbus um sich herum kreieren können, so dass sie immer mehr Risikokapital anziehen konnten. So kommt es zu einer Zentralisierung von Daten, Kapital und Macht, die uns nun zunehmend unheimlich wird.
„Die Vorstellung, dass man für jede Art von Problem technologische Lösungen haben kann“
Manche der heute marktbeherrschenden Unternehmen zeigten anfänglich großen Idealismus – Google etwa hatte sich das Credo „Don`t be evil“ gegeben. War dieser Idealismus immer nur ein Anstrich?
Man kann den Gründern in dieser frühen Phase der Digitalökonomie schon zubilligen, dass sie nichts Böses wollten. Allerdings stehen ihre Produkte heute für einem bestimmten Umgang mit gesellschaftlichen Problemen, den man sehr kritisch sehen kann. Man nennt das „technologischen Solutionismus“ – die Vorstellung, dass man für jede Art von gesellschaftlichen Problemen technologische Lösungen nutzen kann. Die sind aber im wesentlichen auf Optimierung und Effizienz aus und dringen nicht so weit vor, dass sie die gesellschaftlichen Widersprüche, die den Problemen häufig zugrunde liegen, erkennen können. Also bleiben sie oberflächlich. Gleichzeitig stimmt auch, dass der Erfolg dieser Unternehmen, insbesondere an den Finanzmärkten vor allem durch Börsengänge, dazu geführt haben, dass sich die Unternehmen zunehmend an ihren Shareholdern orientieren und eine Reihe ihrer ursprünglichen Ziele aufgeben mussten. Das lässt sich sehr schön an Google zeigen, die nach dem Börsengang deutlich mehr auf Werbung und die Nutzung privater Daten gesetzt haben, deutlich mehr auf die Bevorzugung eigener Dienste, und ganz gezielt eine Monopolisierungsstrategie gefahren haben, die dann häufig auch eine Art von wettbewerblichen Missbrauch zufolge hatte.
Wie genau missbrauchen die großen Digitalkonzerne ihre Marktmacht?
Es gibt viele Kritikpunkte. Einerseits setzen die Plattformunternehmen die informationelle Selbstbestimmung ihrer Nutzer außer Kraft und nutzen die verhaltensgenerierten Daten zum eigenen Vorteil. Ein Beispiel ist das Moment der Selbstbevorzugung: Plattformen wie Amazon oder Apple, die sowohl den Marktplatz besitzen, als auch selbst Teilnehmer auf diesem Markt sind, können ihre eigenen Dienste zum Nachteil anderer Händler bevorzugen – beispielsweise indem sie die eigenen Angebote häufiger anzeigen.
„Das Bundeskartellamt hat ausreichend Hinweise, dass Händler sich auflehnen, aber nicht den Mund aufmachen können“
Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Das, was mit den bestehenden wettbewerbsrechtlichen Mitteln überhaupt erfassbar ist. Unser Wettbewerbsrecht ist nicht mehr up to date, was die Digitalökonomie angeht, weil es sich sehr stark auf den Nutzen der Konsumenten konzentriert. Die stehen jedoch in der Digitalökonomie weitgehend auf der Sonnenseite, während es die Anbieter sind, beispielsweise die Verkäufer auf Amazon, die vom Missbrauch der Marktmacht betroffen sind. Sie mussten über die letzten Jahre zunehmend höhere Teile des Umsatzes an die Plattformbetreiber abführen – bis zu 30 Prozent einer Transaktion. Gerade kleine Händler können selten auf andere Plattformen ausweichen, wenn sie nicht Kund*innen verlieren wollen. Auch gibt es viele Hinweise, dass Plattformen wie Amazon mithilfe ihrer Datenauswertung besonders profitable Produkte von externen Anbietern identifizieren, kopieren und strukturell bevorzugen. So gibt es verschiedene Beispiele von Händlern, die Beschwerde eingerichtet haben, weil sie nach einer Änderung des Algorithmus durch Amazon hohe Umsatzeinbußen erlitten haben.
Es ist ähnlich wie in einer mittelalterlichen Stadt: Da wacht ein Fürst über einem mit Mauern umringten Marktplatz, kontrolliert die einzelnen Händler und verlangt einen hohen Zoll von ihnen. In dieser Abhängigkeit besteht ein breites Spektrum an Missbrauchsmöglichkeiten. Das Bundeskartellamt hat ausreichend Hinweise, dass es sehr viele Verkäufer gibt, die sich dagegen auflehnen, aber nicht richtig den Mund aufmachen können.
Warum tut sich die Politik so schwer, diesen Aktivitäten etwas entgegenzusetzen?
Wir mussten erst unseren Blick verändern um zu begreifen, wie wir mit dem Plattformen umgehen müssen, denn sie sind einfach eine ganz andere Form von Unternehmen. Sie bieten keine klassischen Produkte an, sondern einen privaten Marktplatz. Märkte wurden seit Beginn der Moderne öffentlich reguliert, doch Plattformunternehmen entziehen sich diesen Vorgaben nun in vielerlei Hinsicht. Aktuell erleben wir in den USA und der EU, aber auch in Indien, dass Staaten zunehmend aktiv werden und versuchen die Regeln für private Plattformmärkte zu updaten.
„Nach Jahrzehnten marktliberaler Politik fehlen die Voraussetzungen für Kontrollen“
Aber nach Jahrzehnten marktliberaler Politik fehlen vielfach die Voraussetzungen für eine effiziente Kontrolle von Großkonzernen. Das fängt an bei einer anti-staatlichen Wirtschaftswissenschaft und führt über mangelnde digitale Kompetenz in der Verwaltung und zu starkem Lobbyeinfluss der Konzerne bis hin zu einem unterbesetzten Bundeskartellamt. Darüber hinaus mangelt es an Mut, die bestehenden Alternativen zur finanzmarktgetriebenen Plattformökonomie besser zu unterstützten – beispielsweise durch die finanzielle Förderung von Open-Source-Software oder demokratisch gesteuerte Plattformen auf kommunaler Ebene.
In Europa ist seit gut drei Jahren die DSGVO in Kraft. Welche Bilanz lässt sich ziehen?
ich denke, die DSGVO wird generell positiv wahrgenommen, nicht nur in Europa, sondern weltweit, denn sie ist so eine Art Datenschutz-Grundgesetz geworden. Hier wurde erstmals ein sehr umfassendes Schutzrecht für die informationelle Selbstbestimmung eines jeden kodifiziert. Das ist beispielsweise wichtig, wenn es um das Problem der algorithmischen Diskriminierung geht: Heute ist es so, dass immer mehr persönliche Daten gesammelt und ausgewertet werden, und diese Auswertung kann sich wiederum auf meine zukünftigen Handlungsmöglichkeiten oder Chancenzuteilung von privaten und öffentlichen Leistungen auswirken. Darum ist es sehr wichtig, dass wir als Individuen darüber bestimmen können, wie mit unseren Daten verfahren werden soll. Der Nachteil dessen ist allerdings – und das hängt ganz stark mit der Marktmacht der großen Konzerne zusammen – dass dieses Recht de facto nicht durchgesetzt werden kann. Soziale Netzwerke wie Facebook oder die Google-Tochter Youtube haben inzwischen eine so hohe Verbreitung erreicht, dass sie für viele Menschen zu Infrastrukturen des Alltags geworden sind, die nur mit hohen sozialen Kosten gemieden werden können. Das heißt, ich bin als Individuum gezwungen, der Datenschutzerklärung zuzustimmen. De facto liegt die Möglichkeit über meine Daten zu verfügen, also weitgehend bei den Plattformen. Zum anderen können viele der DSGVO-Bestimmungen auf nationaler und internationaler Ebene letztendlich nicht umgesetzt werden, weil etwa Google und Amazon ihre Hauptquartiere in EU-Staaten haben, die das Datenschutzrecht sehr lax handhaben. Wir haben hier also eine Art von „Datenoasen“, wie Irland oder Luxemburg, in denen man nicht von einer koordinierten Durchsetzung des Datenschutzes in der EU sprechen kann.
„Ich bin als Individuum gezwungen, den Datenschutzbestimmungen zuzustimmen“
Was ließe oder müsste sich verbessern?
Es gibt verschiedene Ansatzstellen. Ein wichtiger Punkt wäre generell eine bessere Zusammenarbeit und Koordinierung der verschiedenen Datenschutzbehörden in der EU. Hier wäre eine einheitliche Rechtsdurchsetzung und bessere Kommunikation ganz wichtig, auch eine EU-weit bessere personelle Ausstattung der Datenschutz- und Wettbewerbsbehörden. Ein weiterer Punkt ist, dass die DSGVO zu kurz greift, wenn sie das Schutzrecht lediglich Individuen zubilligt, die damit aber letzten Endes überfordert sind. Einerseits aufgrund der Marktmacht, andererseits weil die Datenschutzerklärungen zu umfangreich sind, um sie letztlich verstehen und bewusst unterzeichnen zu können. Persönliche Daten haben eigentlich einen inhärent kollektiven Charakter – das liegt daran, dass ich als Individuum immer Teil von größeren Gruppen bin, von einer Belegschaft im Unternehmen, einer Nachbarschaft, einer Stadt oder einer Gruppe mit bestimmte Eigenschaften oder Bedürfnisse hat. Und auch wenn ich persönlich meine Daten nicht freigebe, kann es sein, dass eine Person mit ähnlichen Vorlieben oder ähnlichem Wohnort, diese Daten freigibt, so dass auch Rückschlüsse auf mich möglich werden. Hier besteht daher die Idee, dass man die Datenkontrolle kollektiviert, in Form von Datentreuhändern, oder intermediären Datenräten, die gemeinschaftlich und transparent über die Nutzung von Daten zu bestimmten ausgewählten Zwecken entscheiden.
„Wenn es durchkommen sollte, könnte es ein Game Changer werden“
In China gibt es seit 2018 ein weitreichendes E-Commerce-Gesetz, Chinesische Nutzer überzogen den Anbieter Alibaba daraufhin mit einer Klagewelle. Macht China es besser?
Ich glaube, China hat begriffen, dass eine zu große Macht von Plattformen schädlich ist für die Wirtschaft als Ganzes – darunter leiden kleine Anbieter, insofern ist es vollkommen verständlich, wenn China die Plattform Alibaba in die Schranken weist. Ähnliches passiert nicht nur in China sondern auch in Indien: Auch dort gibt es ein weitgehendes E-Commerce-Gesetz, das die Haftung von Plattformanbietern konkretisiert, so dass sie etwa besser auf die Produktqualität achten müssen und nicht sämtliche Risiken auf die externen Händler abwälzen können. In Deutschland und der EU sind nun mit dem Digital Service Act und dem Digital Markets Act ebenfalls wichtige Grundlagen der Digitalregierung in der Pipieline. Darüber hinaus wird seid einiger Zeit über eine sogenannte Interoperabilitätsverpflichtung diskutiert: Hier sollen die Plattformen leichter untereinander Daten austauschen, damit Nutzer nicht von einzelnen Plattformen abhängig werden. Das wäre ein sehr weitreichender Vorschlag, der grundsätzlich die Bedingungen in der Plattform-Ökonomie weitreichend ändern könnte. Diese Plattformen begründen ihre Macht darauf, dass sie Daten privatisieren und sie einzäunen, um dann den Zugang zu diesen Datenschätzen zu verkaufen. In dem Moment, wo es gesetzlich vorgeschrieben ist, dass andere Plattformen zu diesen Daten Zugang bekommen müssen – das heißt, wenn die Plattformen ihre Schnittstellen offenlegen müssten – gibt es keine starken Netzwerk-Effekte mehr, weil dann alle Zugriff auf die Daten haben. Dann geht es nicht mehr darum, wer die meisten Anbieter hat, sondern darum, wer hat das bessere Interface, die attraktivere App oder Website. Dadurch würde ein Großteil der Monopolisierungstendenzen in der Plattform-Ökonomie wegbrechen.
„Langfristig hilft nur permanente Kontrolle durch öffentliche Aufsichtsbehörden“
Im vergangenen Jahr wurde in den USA Kartellklage gegen Google eingereicht, am EuGH Sammelklage gegen Facebook. Ein Anfang, um die Macht der großen Konzerne einzuhegen?
Tatsächlich versuchen sich die Staaten, auch die EU, schon seit einer Weile zu wehren. Google musste ja schon mehrere Male Strafen zahlen – dabei ging es um die obligatorische Installation von Google-Apps auf Smartphones mit Android-Betriebssystem. Das jetzigen Klageverfahren gehen in eine ähnliche Richtung. In Deutschland wurde mit der 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung nun erstmals eine Grundlage geschaffen um besonders große Plattformen von vorneherein stärker zu überwachen – und nicht erst, wenn sie ihre Marktmacht schon missbraucht haben. Das sollte dringend auf marktähnliche Plattformen in Nischenmärkten ausgeweitet werden. Und auch die Entflechtung von marktmächtigen Unternehmen darf nicht länger wie ein Tabu behandelt werden. Das ist ein Weg, den Indien teilweise gegangen ist, nach dem Grundsatz: Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen sowohl den Markt anbietet, als auch selbst als Marktteilnehmer auftritt. Indien hat in einem Gesetz für ausländische Plattformen beschlossen, dass alle Unternehmen im Ausland, die sowohl Marktanbieter sind, als auch Teilnehmer, keinen Zugang zum indischen Markt bekommen. Langfristig hilft aber nur eine permanente Kontrolle der Plattformen durch öffentliche Aufsichtsbehörden. Dazu müssen die Unternehmen verpflichtet werden, ihre Algorithmen und ihren Umgang mit Daten transparent zu machen, sonst bleiben die Regulatoren machtlos. Und schließlich müssen wir auch über Alternativen nachdenken. Digitale Plattformen in der Hand von Genossenschaften oder öffentlichen Akteuren, wie Kommunen, bieten schon heute interessante Ansatzpunkte.
„Die Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihren Umgang mit Daten transparent zu machen“
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein internationales Regelwerk gefunden wird?
Nach Trump ist es durchaus vorstellbar, dass mit den US-Demokraten, die ebenfalls eine stärkere Regulierung fordern, auch die Rufe nach einer gemeinschaftlichen Reaktion der EU und der USA stärker werden. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, gleichzeitig ist es aber wichtig, dass die EU mit einer starken Position in die Verhandlungen geht und sich nicht dem Interesse der USA an einer national starken Digitalwirtschaft unterwirft sondern weiter die digitale Souveränität anvisiert. Der Abbau von Abhängigkeit von US-amerikanischen Konzernen sollte unabhängig von einer gemeinsamen Forderung nach besserer Regulierung verfolgt werden. Also einerseits stärkere Schranken für monopolistische Techkonzerne und andererseits muss die EU mit einer gezielteren Förder- und Industriepolitik dafür sorgen, dass die junge digitale Wirtschaft in der EU sich gegenüber den Tech-Riesen aus China und den USA behaupten kann und dabei einen grundsätzlich anderen Pfad einschlägt, der die informationelle Selbstbestimmung der Bürger*innen in den Mittelpunkt stellt.
Teufelszeug - Aktiv im Thema
netzpolitik.org/tag/gafam | Das "Medium für digitale Freiheitsrechte" versammelt und kommentiert Entwicklungen zum politischen Umgang mit den Technologie-Riesen Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft.
reporter-ohne-grenzen.de/themen/internetfreiheit | Reporter ohne Grenzen versammelt Meldungen zur Informationsfreiheit im Internet, die nicht zuletzt durch staatliche Bemühungen bedroht ist.
verbraucherzentrale.nrw/wissen/digitale-welt | Die Verbraucherzentrale NRW hat zu digitalen Themen ein umfassendes, verbraucherorientiertes Info-Angebot.
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