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Ingo Dachwitz
Foto: Darja Preuss

„Wir warnen vor Selbstzensur der Medien“

28. Juli 2021

Journalist Ingo Dachwitz über die Einflüsse des Google-Konzerns auf die Presse – Teil 1: Interview

trailer: Herr Dachwitz, die meisten von uns nutzen Google-Produkte so gut wie jeden Tag und dennoch haben viele wohl kaum eine Vorstellung davon, was alles zu Google dazugehört – was also verbirgt sich hinter dem Konzern Google?

Ingo Dachwitz: Man kann Google als eines der größten und wichtigsten Unternehmen der Welt bezeichnen und Sie haben völlig Recht – nur ein Bruchteil dessen ist für jeden sichtbar. Hierzu gehört natürlich die Suchmaschine von Google, außerdem natürlich der Chrome-Browser, ebenso wie viele Dinge, die viele täglich nutzen wie eine Email-Adresse von Google, Google Maps oder auch Office-Tools zur gemeinsamen Bearbeitung von Texten und Tabellen. Und natürlich darf man auch Android nicht vergessen, das meistgenutzte Betriebssystem für Smartphones. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Unternehmensbereichen bei Google, die weniger sichtbar sind, so beispielsweise in der Forschung und der Medizin. Und dann natürlich eben auch im Journalismus – hier geht es neben Werkzeugen für Recherche und Zusammenarbeit vor allem um die Monetarisierung. Also Werbung und Tracking, die Analyse des Verhaltens von Website-Besucherinnen. Wer heute online publiziert, kommt an Google nur schwer vorbei. Es gibt ein schier unendliches Universum an Produkten.

Sie haben als Co-Autor eine Studie über das Verhältnis zwischen Google und Journalismus veröffentlicht. Was ist das für ein Verhältnis?

Zunächst gibt es da natürlich die Produktebene – Journalisten nutzen also Produkte von Google wie beispielsweise die Suchmaschine bei der Arbeit. Dann ist da die im engeren Sinne journalistische Ebene: der Konzern Google ist immer wieder Gegenstand von Berichterstattung. Seit einigen Jahren kommt noch eine weitere Ebene hinzu, nämlich dass Google als Freund und Förderer der Presse auftritt. Dahinter steht eine finanzielle Förderung, die sich in drei Teilbereiche aufteilt: Als Erstes gibt es hier direkte Zahlungen von Google an Verlagshäuser, um dort Innovationsprojekte möglich zu machen und zu finanzieren. Hier sprechen wir von einer Summe in Höhe von 200 Millionen Euro in Europa seit 2013. Dann gibt es inzwischen kaum noch eine Konferenz im Bereich Journalismus, die nicht von Google gesponsort wurde. Und als dritten Zweig gibt es noch Förderungen und Fellowships für junge Nachwuchsjournalisten. Hierbei finanziert Google deren Aufenthalt in verschiedenen Verlagshäusern, wobei für die Verlage selbst keine Kosten entstehen. Außerdem bietet Google kostenlose Trainings für Journalistinnen an.

Was hat Google von diesen Förderungen beziehungsweise was verspricht es sich davon?

Für Google ist es Beziehungspflege. Der Datenkonzern sagt selbst, es hätte in der Vergangenheit ein Missverständnis gegeben zwischen ihm und den Medien. Hintergrund ist ein medienpolitischer Streit, der sich an den Werbeeinnahmen von Google entfacht hat. Die Verlage haben eine Beteiligung gefordert für die Werbeeinahmen, die Google mit dem Auffinden ihrer Inhalte generiert. Um dieses sogenannte Leistungsschutzrecht abzuwehren, arbeitet Google mit Zuckerbrot und Peitsche. In Spanien etwa hat Google aufgrund der Forderung der Verlage seinen Dienst Google News abgeschaltet. Die andere Seite der Medaille ist die eben beschriebene Scheckbuchdiplomatie So entstand 2013 der erste Google-Fonds für die Medien in Frankreich, als Google dort eine neue Werbe-Steuer drohte.

Haben Sie bei Ihrer Studie denn Hinweise auf eine wirkliche Einflussnahme seitens Google gefunden?

Wir haben keinen Fall gefunden, bei dem Google versucht hat, explizit Einfluss auf die Berichterstattung eines geförderten Mediums zu nehmen, also beispielsweise den berühmten Anruf beim Chefredakteur, um einen Artikel zu verhindern. Aber die von uns interviewten Journalistinnen warnen davor, dass es durch solche Abhängigkeiten auch zu ‚Beißhemmungen‘ bei den Journalisten kommen könnte. Alle in der Branche wissen um Googles große Nähe zu den Medien. Wir warnen deshalb eher vor einer Selbstzensur bei den Medien als vor einer direkten Einflussnahme von Google. Grundsätzlich ist diese aber auch unheimlich schwer zu messen. Wir können nicht zählen, welche Artikel nicht erschienen sind, weil Journalisten den mächtigen Förderpartner nicht verärgern wollten oder mal wieder mit Google auf einer Konferenz überlegt haben, wie die Zukunft des Journalismus aussehen könnte. Was man aber schon sehen kann ist, dass Google unter Journalistinnen das beliebteste Tech-Unternehmen ist. Das zeigt eine Studie des Reuters Institute der Universität Oxford – das wiederum Geld von Google erhält.

Abhängigkeiten können zu ‚Beißhemmungen‘ bei Journalisten führen“

Sie sind selber sowohl Wissenschaftler als auch Journalist – könnten Sie sich vorstellen, in der Situation noch frei und neutral zu schreiben?

Meine persönliche Meinung ist, dass die Medien keine Gelder von Google annehmen sollten – in keiner Form. Aber es geht hier nicht um eine persönliche Sichtweise, sondern ist vielmehr ein strukturelles Problem. Irgendwann entsteht eine gefühlte Nähe, die eine kritische Auseinandersetzung unmöglich macht. Sie können nicht, wenn Sie bei Netzwerk-Treffen abends noch nett mit einem Google-Vertreter zusammengesessen haben, am nächsten Tag kritisch über das Unternehmen schreiben. Irgendwann funktioniert das nicht mehr. Und doch muss man natürlich auch feststellen, dass Google einfach so geschickt war, eine Lücke zu füllen und den Verlagen die technische Weiterentwicklung finanziell zu ermöglichen. Die Öffentlichkeit muss sich also damit beschäftigen, wie die Medien bei solchen Schritten anders unterstützt werden können.

Wenn man das alles so hört und liest, bekommt man noch einmal mehr das Gefühl, dass es eine Übermacht der Technik-Unternehmen wie Google oder auch Facebook gibt und dass wir uns dieser kaum entziehen können…

Ja, wir haben grundsätzlich ein Problem mit der Markt- und Medienmacht der digitalen Unternehmen. Die liegt unter anderem in Kontrolle des Suchmaschinen- und des Werbemarktes. Es gibt eine veritable Angst bei den Verlegern und in den Redaktionen davor, dass Google die Kriterien der Such-Algorithmen ändern könnte. Das könnte dann dazu führen, dass bei ihnen der Traffic vollkommen einbricht und sie enorme Verluste zu verbuchen haben. Ein Interviewpartner sprach davon, dass Journalisten nicht mehr für Menschen, sondern in erster Linie für den Algorithmus schreiben. Da setzt sich bei Medienmanagerinnen dann die Einstellung durch, dass es besser sei, einen guten Draht zu Google zu haben als dass sie technische Änderungen ohne Vorwarnung treffen.

Es muss ein Branchendiskurs über die Macht von Google entstehen“

Wie könnte Ihrer Meinung nach eine angemessene Kontrolle von Google in diesem Bereich aussehen, vielleicht auch seitens der Politik?

Die Macht von Google muss auf vielen Ebenen gebrochen werden. Hinsichtlich der Medien dürfen diese schlicht nicht auf das Geld des Konzerns angewiesen sein. Diese Erkenntnis ist auch in Deutschland zumindest schon mal da, wie das nachträglich bewilligte 220 Millionen-Paket des Haushalts für 2020 zeigt. Dass die Medien seitens des Staates gefördert werden, war bisher – gerade wegen einer gewünschten Unabhängigkeit – ausgeschlossen. Außerdem muss ein Branchendiskurs über die Macht von Google entstehen. Von staatlicher Seite ist darauf zu achten, dass das geltende Recht auch gegenüber dem Konzern umgesetzt wird. Denkt man an die zahlreichen Datenschutz-Klagen, die gegen Google laufen, so ist klar, dass das Unternehmen kein guter Partner für den Journalismus sein kann. Und nicht zuletzt ist natürlich auch besonders wichtig, dass der Geldfluss endlich transparent gestaltet wird. Die geförderten Innovationsprojekte sind zwar immer in bestimmte Kategorien eingeteilt, aber die genauen Summen werden selten proaktiv offengelegt. Viele Medien verweigerten diese Auskunft sogar auf Nachfrage.

Ist der deutsche Pressekodex – der Geschenke in solchen Größenordnungen verbietet – diesen Entwicklungen noch angemessen?

Der Pressekodex sollte weiterhin gelten und der Standard sein, an den wir uns zu halten haben. Er muss nur ständig aktualisiert und angepasst werden.


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Interview: Verena Düren

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