David (Jesse Eisenberg) ist angespannt, als er hektisch zum Flughafen fährt. Er wird gerade noch pünktlich kommen, aber sein Cousin Benji (Kieran Culkin erhielt soeben den Golden Globe) ist nicht so zuverlässig und immer für eine unangenehme Überraschung gut. Von denen wird es in den kommenden Tagen noch reichlich geben, wenn David und Benji nach Polen reisen. Anlass ist der Tod der – vor allem von Benji – über alles geliebten Großmutter, die vor ihrer Flucht vor den Nazis in die USA dort lebte. Ein Großteil ihrer Familie ist in dem Konzentrationslager Majdanek umgekommen. Schnell wird klar, dass sich die Cousins, die sich als Kinder sehr nahe standen, auseinandergelebt haben. David scheint mit Frau und Kind und einem regelmäßigen Job fest im Leben zu stehen, während Benji ein kiffender Chaot ohne Job ist, der bei seiner Großmutter lebte und seit ihrem Tod noch mehr aus der Bahn geworfen ist. Als die beiden auf ihre Reisegruppe stoßen, mit der sie dem jüdischen Leben in Polen und der Schoah nachspüren, werden die unterschiedlichen Charaktere noch deutlicher. David ist freundlich, aber reserviert, während Benji direkt in die Vollen geht, oder wie es eine der Mitreisenden nennt: „Wenn er einen Raum betritt, bringt er ihn mit seiner Offenheit zum Leuchten ... um anschließend mit genau dieser Offenheit auf die Gefühle von Jeder und Hedem zu scheißen“. Jesse Eisenberg ist eher als Darsteller in Independent-Komödien oder auch Superhelden-Filmen bekannt. „A Real Pain“ ist seine zweite Regiearbeit und sein erster Film, in dem er gleichzeitig die Hauptrolle spielt. Auch das Drehbuch, das zum Teil autobiografisch inspiriert ist, kommt von ihm. Dass sich dieses Mal viel Tragik zu Eisenbergs Lieblingsgenre, der Komödie, gesellt, liegt nicht nur an der Geschichte der Schoah, der sich die beiden Protagonisten in der Hoffnung auf wegweisende Gefühle und Erkenntnisse für ihr eigenes Leben stellen. Denn schnell wird klar, dass die beiden Cousins ziemlich viel eigenen Ballast mit auf die Reise schleppen. „A Real Pain“ unterwandert die üblichen Klischees der kathartischen Erfahrung, des emotionalen Dammbruchs, der lebensverändernden Erkenntnis im Angesicht des großen Leids der Judenvernichtung. Klein mögen die Enttäuschungen, Unsicherheiten und Ängste der Cousins dagegen wirken, aber sie sind dennoch da, auch wenn die beiden maximal unterschiedlich damit umgehen. Das zu sehen ist schmerzhaft und komisch zugleich.
Am Anfang war das Licht. Zumindest in Thomas Riedelsheimers neuem Dokumentarfilm „Tracing Light – Die Magie des Lichts“. Er beobachtet, wie beim Sonnenaufgang die Lichtreflexe in seiner Wohnung kreisen. Im Folgenden betrachtet er das Phänomen Licht von wissenschaftlicher und künstlerischer Seite. Letzteres kennt man von ihm aus seinem Film „Rivers and Tides“ über die Arbeit des Landart-Künstlers Andy Goldsworthy. Hier gesellt sich nun eine wissenschaftliche Betrachtung hinzu. Riedelsheimer lässt Wissenschaftler mit Lichtkünstlern über das Phänomen diskutieren, dass selbst den Physikern noch viele Rätsel aufgibt. Schließlich gelingt dem Film der Brückenschlag zum Kino – der Kunst aus Licht und Schatten. Eine spannende, stets mäandernde Reise zu einem der grundlegenden und lebensstiftenden Naturelemente.
Kurz vor den Schulferien wird Elisabeth (Renate Reinsve), die alleinerziehende Mutter des sechsjährigen Armand, zum Gespräch mit der jungen Lehrerin Sunna gebeten: Armand soll seinen Klassenkameraden Jon auf der Toilette sexuell belästigt haben. Auch Sarah und Anders, die Eltern von Jon, kommen dazu. Elisabeth ist perplex, der Vorfall indes scheint eindeutig. Mit seinem bravourös besetzten, in Cannes prämierten Kammerspiel „Armand“ entführt Halfdan Ullmann Tøndel sein Publikum auf eine emotionale Achterbahnfahrt, auf der man sich am besten einfach genüsslich manipulieren lässt. Ein ungemein dichtes, kraftvolles Drama, das seine Figuren schmerzvoll, aber auch nuanciert humorvoll durch Verletzung und Irrwitz treibt. Atmosphärisch aufgeladen, überraschend, stark.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: das Thrillerdrama „Juror #2“ von Clint Eastwood, die Manhattan-Story „La Cocina – Der Geschmack des Lebens“ von Alonso Ruizpalacios, das Drama einer Jugendliebe „Young Hearts“ von Anthony Schatteman, die Schnitzler-Adaption „Traumnovelle“ von Florian Frerichs, das Heist-Thriller-Sequel „Criminal Squad 2“ von Christian Gudegast und die wahre Zwillingsgeschichte „Leben ist jetzt – Die Real Life Guys“ von Maria-Anna Westholzer.
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