
Victoria & Abdul
Großbritannien 2017, Laufzeit: 112 Min., FSK 6
Regie: Stephen Frears
Darsteller: Judi Dench, Ali Fazal, Eddie Izzard
>> www.victoria-and-abdul.de/
Drama um eine skandalöse Freundschaft
Ihre Majestät Mrs. Dench
„Victoria & Abdul“ von Stephen Frears
Bloß kein Blickkontakt! Die Anweisungen sind klar, der Auftritt der indischen Diener Abdul und Mohammed beim Festbankett zum goldenen Thronjubiläum von Königin Victoria im Jahr 1887 ist perfekt durchchoreografiert. Doch nachdem Abdul der Königin pflichtschuldig eine kostbare Münze präsentiert und damit die Aufgabe erfüllt hat, für die er zuvor aus Agra nach Großbritannien geholt wurde, bricht er Regel Nr. 1 und sieht die Königin an. Und sie schaut zurück. Der Beginn einer Freundschaft, die die Königin bis zu ihrem Tod im Jahr 1901 begleiten wird. Und die für reichlich böses Blut unter den anderen Höflingen sorgt.
Regisseur Stephen Frears greift mit dieser ungewöhnlichen platonischen Liebesgeschichte auf historische Tatsachen zurück – zumindest „mostly“, wie der Vorspann bekennt. Das Drehbuch von Lee Hall („Billy Elliot“) stützt sich auf das gleichnamige Buch der indischen Journalistin Shrabani Basu. Abdul Karim, erst Diener, dann Sekretär der damals schon hochbetagten Monarchin, unterrichtete Victoria in indischen Sprachen, führte sie in die Kultur seines Landes ein und genoss dafür die Rolle eines Günstlings – ein Posten, der seit dem Tod von Victorias schottischem Diener und Freund John Brown (1883) verwaist war. Wie in John Maddens „Ihre Majestät Mrs. Brown“ (1997), der sich jener skandalumwitterten schottischen Liaison widmete, so ist es auch in Frears „Victoria & Abdul“ Schauspielerin Judi Dench, die Victoria verkörpert und ihren Part von einst fortschreibt. Und sie ist auch der Grund, warum der Film sehenswert ist. In ihrer dritten Zusammenarbeit mit Stephen Frears, nach „Lady Henderson präsentiert“ (2005) und „Philomena“ (2013) läuft Dench einmal mehr zu Bestform auf: Selbst die üppige Ausstattung des Kostümfilms wirkt geradezu blass neben den Schauwerten ihrer Mimik, wenn sich in den vom Alter, zu vielen Pflichten und zu vielen Verlusten verhärteten Zügen der Königin im Kontakt mit dem Inder wieder Gefühle, Neugier und Verletzlichkeit zeigen.
„Victoria & Abdul“ ist sicher nicht Frears' bester Film; wenn man ihn als Aufarbeitung eines Kapitels der britisch-indischen Kolonialgeschichte ansieht, kann man ihn als hoffnungslos unkritisch abtun, schon weil die von Bollywood-Star Ali Fazal verkörperte männliche Hauptfigur, seine Perspektive und seine Motive Drehbuch und Regie kaum interessieren. Als Porträt der alten Königin ist der Film jedoch ähnlich berührend wie Frears' und Denchs Gemeinschaftswerk „Philomena“: Eindrücklich arbeiten sie die Einsamkeit heraus, die die Monarchin fühlt, weil der Umgang bei Hofe sie zwar ständig mit Menschen umgibt, die Umgangsformen jedoch so formalisiert sind, dass kaum Nähe entsteht. Und ebenso überzeugend gestalten sie Victorias Sich-Einlassen auf den viel jüngeren Mann, der sich nonchalant über diese Formalisierung hinweg setzt. Und so unpolitisch der Film ist, wenn es um die Darstellung der kolonialen Verhältnisse geht: Dass das Glück, das die Figur dabei erfährt, das Glück einer interkulturellen Begegnung ist, die Bereicherung durch eine fremde Kultur, kann man durchaus auch als kleine aktuelle Spitze gegen die Abschottungstendenzen im Brexit-Britannien verstehen.
(Felicitas Kleiner)
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