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Sentimental Value

Sentimental Value
Frankreich, Norwegen, Deutschland, Schweden, Dänemark 2025, Laufzeit: 133 Min., FSK 12
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Renate Reinsve, Stellan Skarsgård, Inga Ibsdotter Lilleaas

Mitreißendes Familiendrama

Orte mit Seele
„Sentimental Value“
von Joachim Trier

Ende August erst reflektierte Mascha Schilinski mit „In die Sonne schauen“ geteilte Erinnerungen und ungreifbare Phänomene, vererbtes Trauma, Körpergedächtnis. Handlungsort ist ein Vierseitenhof in der Altmark. Dort, wo alles zusammenläuft. Wo sich alles sammelt: die Menschen, die Schicksale. Der Hof ist mehr als Wohnraum. Der Hof ist Bewahrer, ist Geist. Nun erzählt auch Joachim Trier von einem solchen Ort. Von einem Haus in Oslo. Ein Haus, das denen, die es bewohnen, beiwohnt. Gleich zu Beginn bekommt die junge Schülerin Nora, die hier lebt, die Aufgabe, einen Aufsatz mit Perspektivwechsel zu schreiben: über das Haus als Person. Das Mädchen notiert zum Beispiel, dass das Haus keinen Lärm mag. Ein Ort wird wundersam beseelt. Bei Schilinski – und jetzt bei Trier.

Die Schwestern Nora (Renate Reinsve, „Der schlimmste Mensch der Welt“) und Agnes (Inga Ibsdotter Lilleaas) sind aufgewachsen in diesem Haus in Oslo. Ihr Vater Gustav (Stellan Skarsgård), ein international renommierter Filmregisseur, verlässt seine Familie früh. „Das Haus wurde leichter und leichter“, schreibt Nora als Mädchen auf. Heute ist sie Schauspielerin am Theater. Ihre Schwester Agnes, Akademikerin und Familienmutter, ist stabil. Nora ist es nicht: Sie wird heimgesucht von Panikattacken, hat Bindungsangst, ist unaufgeräumt und grollt dem Rabenvater. Ausgerechnet bei der Trauerfeier zum Tod der Mutter taucht dieser wieder auf. Gustav holt Kartons aus dem Keller. „Die gehören mir.“ Und er hat etwas vor mit Nora: Nachdem er seit über fünfzehn Jahren keinen Spielfilm inszeniert hat, legt er Nora nun ein Drehbuch vor. Gustav wünscht sich, dass seine Tochter die Hauptrolle übernimmt. Er hat das Skript für Nora geschrieben. Doch Nora lehnt ab. Bei einer ihm gewidmeten Retrospektive auf einem Filmfestival in Deauville begegnet Gustav wenig später der US-Schauspielerin Rachel (Elle Fanning, „The Neon Demon“, „Like A Complete Unknown“) und offeriert ihr die Rolle. Rachel, vom Mainstreamkino unterfordert, begrüßt die Herausforderung.

Ein Drama über zwei Schwestern im heutigen Oslo. Zwei Schwestern, die unterschiedlicher kaum sein können. Aufgewachsen unterm selben Dach, verbunden durch dieselbe Familienhistorie. Auch davon erfahren wir in Rückblenden: Vom Widerstand gegen die Nazis, von Suizid, von Flucht. Vergangenheit, die nicht loslässt, die hier mündet. Im Haus. In Nora, befallen von Neurosen, Verbitterung, Dämonen. Verloren in Sprachlosigkeit. Trier erzählt sensibel und anregend von einer Vater-Tochter-Entfremdung und dem Versuch einer Wiederannäherung. Von Aufarbeitung. Getragen von seinem starken Cast, verfällt er dabei weniger Schilinskis Schwere. Trier nähert sich dem Konflikt auch spielerisch. Er spielt mit seinem Publikum, er spielt mit dem Film, mit dem Film im Film, mit dem Haus im Film, spielt mit Ort und Kulisse. Trier inszeniert vergleichsweise klassisch, sein Drama geriert sich weniger assoziativ und sprunghaft als „In die Sonne schauen“. Sein Drama spricht anders, begreift sich nicht als ein einziger Sog, setzt, ganz im Gegenteil, fortlaufend harte Schnitte. Trier lässt seinen Film atmen. Stoßatmen. Das Haus ist wie der Film Projektionsfläche, ist lebende Materie. Film ist Leben: Das ist das, was Gustav im Film sucht und verarbeitet. Das ist auch der Grund dafür, dass Gustav mit dem Theater, mit der Bühne und ihrer Abstraktion so fremdelt.

Joachim Trier zieht uns souverän in seinen Bann. Und natürlich erzählt er nicht bloß von einem Vater-Tochter-Konflikt und von einem Haus, sondern auch von der Stadt, von Oslo. So, wie er es seit zwanzig Jahren tut. 2006 mit „Auf Anfang“, 2011 mit „Oslo, 31. August“ und zuletzt 2021 mit „Der schlimmste Mensch der Welt“. In Kopenhagen wird Joachim Trier geboren, in Oslo aber wächst er auf. Hier wird er, hier werden seine Figuren geprägt. Vom jetzt und damals. Orte erzählen Geschichten. Orte wachsen mit den Figuren, die sie beherbergen. Davon erzählt Trier. Ein Haus. Eine Stadt. Ein Film. Projektion. Materie. Seele.

(Hartmut Ernst)

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