Zwei Männer, gut und böse. Auch wenn die Rollen klar verteilt sind, muss die Geschichte deshalb keine Spannung einbüßen. Im Gegenteil, die Gegensätze heizen mitunter die Konflikte erst richtig an. Daniel bewirtschaftet eine Farm, dort, wo das Land in Wales besonders grün und die Erde nass und fruchtbar ist. Er züchtet Schafe und er ist ein Mann, der ohne viele Worte Respekt vor der Kreatur besitzt. Wir lernen ihn kennen, während er in tiefer Nacht, von betäubender Müdigkeit heimgesucht, einem Muttertier bei der gefahrvollen Geburt beisteht. Zur gleichen Zeit zermalmt der andere, der nur als „der große Mann“ bezeichnet wird, den Kadaver eines Dachses auf der Landstraße. Er züchtet Hunde, um sie zur illegalen Dachsjagd einzusetzen. Ein Mann, der Angst verbreitet, bei Mensch und Tier.
Es ist ein archaischer Konflikt, den der Waliser Cynan Jones in seinem Roman „Graben“ schildert. Er trägt sich dort zu, wo eine Tragödie noch Teil einer schicksalhaften Ordnung sein kann, wo die Gesetze des Lebens noch auf vorangegangene und zukünftige Generationen verweisen. Auf dem Lande, wo die Geräusche und der Geruch Aufschluss über das Wetter, den Zustand der Natur geben und Teil einer kreatürlichen Orientierung sind. Gerüche spielen eine wichtige Rolle in dieser Geschichte, die ganz in der wuchtigen Körperlichkeit ihrer beiden zentralen Protagonisten angesiedelt ist. Daniel riecht den Duft seiner Frau, die mit ihm das schwierige Erbe auf der Farm angetreten hat, sie ist das Zentrum seines Lebens. Dann erst erfahren wir, dass sie nicht mehr lebt, bei einem Unfall auf der Farm den Tod fand. Auch der sadistische Hündezüchter ist angeschlagen, denn die Polizei ist ihm auf den Fersen, und die Furcht, wieder ins Gefängnis zu müssen, lässt ihn nicht mehr los.
Die Prosa des Walisers ist getränkt von sinnlichen Erfahrungen, wenn er den Duft der Frau, den Kaffee des Farmers, das Heu oder das Fell der Hunde beschreibt, dann taucht man als Leser in eine Welt von satter Vitalität ein. Er kennt sich aus mit dem Zustand der Erde, dem Verhalten der Schafe, der Dachse und Vögel, aber vor allem vermag er in die ängstlichen oder brutalen Seelen der Menschen zu schauen. Zarte Gesten und grausame Mordlust sind für ihn keine Gegensätze, sondern Teil des Spektrums menschlicher Reaktionen. Natur und Ethik greifen ineinander, und so entwickelt sich eine Geschichte von zunehmender Dramatik, zeitlupenhaft aber in jedem Moment aus der Welt der ebenso schönen wie mörderischen Atmosphäre der Provinz heraus erzählt.
Cynan Jones: „Graben“ | Deutsch von Peter Torberg | Liebeskind | 176 S. | 16,80 €
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