Der Ruhrkrimi-Autor Thomas Schweres hat nachgelegt: Im 1989 in Dortmund gegründeten Grafit-Verlag, insbesondere bekannt für Krimis mit regionalem Bezug, hat der gebürtige Essener nach „Die Abtaucher“ (2014) und „Die Abräumer“ (2015) mit „Die Abdreher“ (2016) nun seinen dritten Band publiziert. Dieser wirft mit seinem gewagten Plot, der einen kriminellen Mix aus extremistischen Täterkreisen vom IS bis hin zu Neonazis skizziert, eine Reihe Fragen auf. Bei einer Signierstunde am verkaufsoffenen Sonntag (8.5.) in der Filiale der Mayerschen Buchhandlung in Dortmund-Hombruch ermöglichte Schweres dem trailer-ruhr-Magazin einen Blick hinter die Autorenkulissen und stand geduldig Rede und Antwort.
„Vier kopflose Leichen – IS-Terror im Ruhrgebiet? Das scheint noch der harmloseste Verdacht, denn alles deutet darauf hin, dass sich Islamisten und rechte Szene zusammentun“, bringt Frank Schorneck im trailer-ruhr-Magazin 05/16 (S. 33) das explosive Konflikt-Gemisch der „Abdreher“ auf den Punkt und fragt, ob der Verfasser seinen Krimi mit einer solchen Mixtur nicht etwas überfrachte. Für Schweres, der hauptberuflich als Journalist für einen privaten Fernsehsender arbeitet, ist ein solches Szenario keineswegs eine „satirische Überspitzung“, sondern „bittere Realität“: „Schon 2014 wurde in verschiedenen Medien über die Zusammenarbeit von Dortmunder Nazis und Salafisten berichtet“, so der Autor. „Mit erschreckend geringer Resonanz, wie ich fand.“ Als Beleg führt er an, dass Recherchen für die NDR-Sendung „Panorama“ ans Tageslicht brachten, dass ein von Neonazis im Ruhrgebiet aufgebauter anonym nutzbarer E-Mail-Service mit Server in den USA auch vom Islamischen Staat (IS) zur Verbreitung hetzerischer Propaganda genutzt werde. Dem NRW-Innenministerium in Düsseldorf seien jedoch, so heißt es am Ende des Online-Berichts, „Verbindungen zwischen Islamisten und Rechtsextremisten nicht bekannt“.
Gleich nach der als „Prolog“ vorangestellten drastischen Eingangsszene, in der vier abgeschlagene Köpfe auf den Fensterbänken einer Wohnung in der Dortmunder Nordstadt zur Schau gestellt werden, wird die Explosion eines Wohnhauses in einem Essener Vorort geschildert. Polizeireporter Tom Balzack, Hauptfigur der „Abdreher“, ist sogleich zugegen, da er einer Bewohnerin des Hauses aus privaten Gründen einen Besuch abstatten will, was (ohne Vorwissen aus dem Krimi-Vorgänger „Die Abräumer“) ein wenig konstruiert erscheint. Diese bleibt nach der Detonation verschwunden und scheint in den Fall verstrickt zu sein, der – so mutmaßt der mit den Ermittlungen beauftragte Kommissar namens Schüppe – „weit über Dortmund und das Ruhrgebiet hinausging“ und „die Dimensionen der Anschläge von Paris vor ein paar Wochen annehmen könnte. Mindestens.“ Und dann könne man nur noch hoffen, so der Kommissar. Wenn schon Apokalypse, dann richtig… Thomas Schweres ist gar davon überzeugt, dass „die Anzahl der 'Schläfer', die hier im Ruhrgebiet auf ihren Einsatz warten“, in seinem im Herbst 2015 geschriebenen Krimi zu niedrig angesetzt sei. „Damals hat man auch noch behauptet, mit der Flüchtlingswelle seinen keine IS-Terroristen ins Land gekommen“, so der Autor. Mittlerweile gleiche sich jedoch auch die „offizielle, veröffentlichte Wahrheit dem Buch an“.
Selbst Polizeikreise bleiben im Krimi nicht von abgedrehten Persönlichkeiten verschont – so etwa der frühere Kriminalhauptkommissar Krokowski, ehemals Schüppes Stellvertreter im Morddezernat und später Personenschützer beim Bundeskriminalamt (BKA), der inzwischen „wegen Beteiligung an einem versuchten Attentat auf den designierten Bundesinnenminister (…) rechtskräftig zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt“ ist. Dennoch taucht Krokowski im Zuge der Ermittlungen in der Nähe des mutmaßlichen IS-Tatorts in der Nordstadt auf einem Reporter-Foto auf, das ihn dabei zeigt, wie er zusammen „mit einer Bande Neonazis offen durch Dortmund“ marschiert. Aber zum Glück gibt es da noch den kurdisch-stämmigen Oberkommissar Amin Gültekin, der mit seiner Analyse ein wenig zur Rettung freiheitlicher Ideale beiträgt: „Eigentlich sind sich Nazis und die Muslim-Faschisten doch gar nicht so unähnlich: Beide lehnen unsere demokratischen Werte wie Freiheit, Toleranz und Gleichberechtigung der Geschlechter entschieden ab“.
Thomas Schweres wagt in „Die Abdreher“ durch den Anspruch größtmöglicher Annäherung der Fiktion an von ihm im Zuge seiner journalistischen Arbeit wahrgenommene gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen einen großen kriminalistischen Wurf – mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Zuweilen wirken die Charaktere etwas überzeichnet und als problematisch kann insbesondere die wenig differenzierte Nebeneinanderstellung extremistischer Täterkreise betrachtet werden. Auch stellt sich die Frage, ob durch die Überspitzung des Plots nicht eine latente Skepsis gegenüber der jüngsten Migrationswelle verstärkt werden könnte. Hiervon kann sich letztlich bei der Lektüre jedoch nur jeder selbst ein Bild machen.
Thomas Schweres: „Die Abdreher“ | 283 Seiten | Grafit-Verlag | 11 Euro
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