Er hieß Parker – ohne Vorname – ein Mann wie eine Naturgewalt. Wenn er über die Straße ging, sahen die Frauen, die auf dem Weg ins Büro waren, ihn an und „spürten Vibrationen oberhalb ihrer Nylons“. Damals trugen die Frauen noch Nylons, man schrieb das Jahr 1962. Erstmals erschien Richard Starks Roman „The Hunter“, der fünf Jahre später von John Boorman unter dem Titel „Point Blank“ mit Lee Marvin in der Hauptrolle verfilmt wurde.
Marvin war ziemlich gut in diesem finsteren Rache-Krimi, und dennoch war die Romanvorlage noch zynischer, gewalttätiger und sexistischer als der Film. Richard Stark ist das Pseudonym von Donald E. Westlake (1933-2008), der so etwa von jedem hartgesottenen Krimi-Autor der USA bewundert wurde. Wofür? Seine Stories schnurren nur so ab, sie sind schnörkellos geschrieben, und Parker ist keiner, mit dem man Bedauern haben müsste, der Machismo feiert mit seiner Gestalt letzte Urstände. So heißt es von den Frauen, dass „sie wussten, er war ein Dreckskerl, … sie wussten, sein Gesicht würde sich nie zu einem Lächeln verziehen, wenn er eine Frau ansah. Sie wussten, was er war, sie dankten Gott für ihren Ehemann, und trotzdem erschauerten sie. Weil sie wussten, wie er nachts über eine Frau herfallen würde.“ Sex ist also immer in der Luft und dennoch, Parker kann sich beherrschen, bei seinem Rachefeldzug bleibt er keusch.
Von seiner Frau ist er verraten worden, was ihm einen Aufenthalt im Knast einbrachte. Nun ist Parker wieder da, und beginnt aufzuräumen. Wir erhalten einen Blick in die Welt New Yorks zu Beginn der 60er Jahre. Die Zeit der „Mad Men“ und eine Reise in die Gesellschaft der Berufsgangster, die schon nicht mehr mit der Knarre in der Hand agieren, sondern hinter Schreibtischen sitzen. Parker ist einer, der keine Angst kennt und der die anderen das Fürchten lehrt. Klar, dass bald Leichen seinen Weg säumen, hier wird alles in Handlung aufgelöst. Trotzdem besitzt der „Hunter“ viel Atmosphäre. Es sind nicht nur die Nylons, deren Rascheln beschrieben wird. Auch die Männer werden detailgenau und doch nie detailverliebt beschrieben. Mehr noch als im Kino der späten 60er wirken die Bilder des Romans wie Filmsequenzen, die rasch aufeinander folgen. Es ist eine Welt, in der die Polizei nur ganz am Rande vorkommt. Die Gangster bestimmen das Ambiente und New York bleibt die Kulisse, in der sich effektvoll agieren lässt. Die Übersetzung von Nikolaus Stingl holt den Text zu uns heran, so als würde er in einem überzeitlichen Raum spielen, der die 60er nur als Einrichtungsbiotop benötigt. Das gibt dem Roman Härte und Eleganz zugleich.
Am Ende kommt Parker doch noch einmal ins Schlingern und Richard Stark mit ihm, aber dann fängt sich die Geschichte wieder und sofort ist die Lust geweckt, nach diesem ersten großen Parker-Roman in die Serie einzusteigen, die sich sogar noch über den Tod von Donald E. Westlake hinaus erstreckte. „The Hunter“, das ist ein Roman, so cool, sarkastisch und schnell wie ihn niemand mehr zu schreiben vermag.
Richard Stark: „The Hunter“ | Deutsch von Nikolaus Stingl | Zsolnay | 192 S. | 17,90 €
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