trailer: Herr Handwerker, das Ruhrgebiet ist ein Kulturgebiet?
Fred Handwerker: Natürlich. Das Ruhrgebiet ist ein Schmelztiegel der Nationen und somit ein Schmelztiegel der Kulturen. Das liegt doch nah beieinander.
Und musikalisch?
Nordrhein-Westfalen ist stark geprägt von der englischen Musikszene. Nach dem Krieg wurden durch die britische Besetzung und die Gründung der Rundfunkanstalten die Weichen in diese Richtung gestellt. Durch Migration sind viele weitere Einflüsse hinzugekommen. Die Weltmusik ist im Ruhrgebiet sehr verbreitet.
Gibt es im Pott auch Publikum?
Publikum gibt es hier für alles, für Flamenco, Blues, Speed-Metal. Alle Nischen sind im Ruhrgebiet gefüllt.
Und damit kann man Geld verdienen?
In den Nischen kann man Geld verdienen, natürlich weniger als in den Bereichen, wo man ein großes Publikum anspricht. Dort wiederum kann man auch viel Geld verlieren. Zu großen Konzerten müssen nicht immer viele Leute kommen. Bei den großen Events gibt es viele Kosten, also einen hohen Einsatz. Große Einsätze ermöglichen große Gewinne, aber auch hohe Verluste.
Die großen Acts kommen eher ins Ruhrgebiet als nach Diepholz?
NRW ist bezüglich der potenziellen Besucher der größte Musikmarkt in Deutschland. Das Ruhrgebiet ist quasi das Kernland von NRW und deshalb wichtige Station von vielen Künstlern.
Wie ist handwerker promotion eigentlich groß geworden?
Als Musiker war ich eher Spätstarter und habe bald erkannt, dass meine Möglichkeiten, mit Musik Geld zu verdienen, begrenzt sind. Der Vorteil war, dass ich das Geschäft auf der Bühne kennengelernt habe. Ich bin dann hinter die Bühne gewechselt, habe für Clubs das Booking gemacht. Das war sehr erfolgreich. Ich wurde weiterempfohlen. So wurde ich zunächst örtlicher Veranstalter, bin in die Hallen und Theater gegangen. Anfang der 90er Jahre war ich für Jürgen von der Lippe der bundesweite Tourneeveranstalter. Daraus sind verschiedene andere Kontakte entstanden, unter anderem zu Tom Gerhardt, den ich seit über 20 Jahren manage. Inzwischen arbeitet handwerker promotion bundesweit mit einem Netzwerk von Veranstaltern zusammen.
Und jetzt?
Wir machen wirklich fast alles. Wir begleiten neue Acts, die ihr erstes Album vorstellen möchten in kleinen Locations wie dem Stadtgarten in Köln. Wir organisieren Konzerte sowohl indoor wie outdoor, brachten schon Prince, Justin Timberlake, Usher, Beyoncé, Harry Belafonte, Leonard Cohen. Von Hip-Hop bis zur Volksmusik haben wir schon alles veranstaltet.
Tut das nicht in der Seele weh, wenn man Volksmusik auf die Bühne stellt?
Gar nicht. Die Künstler, die dort tätig sind, sind unheimlich spannende Menschen. Um dort erfolgreich zu sein, braucht es enorme Energie, gute Ideen und Konzepte. Die Flippers haben mit 30 Millionen Alben in Deutschland mehr verkauft als die Rolling Stones. Ich habe immer Hochachtung vor Professionalität. Dann ist es für mich relativ unerheblich, aus welcher Sparte der Künstler kommt. Wir haben zum Bespiel 1997 in NRW „River Dance“ gestartet. Daraus wurde eine zehnjährige Erfolgsgeschichte. Ich habe die Schürzenjäger gemanagt. Wenn ich zu den Schürzenjägern ins Zillertal fahre, dann sitze ich in einer kleinen Holzhütte und bespreche mit denen unsere Pläne. Die Schürzenjäger sind musikalisch einerseits stark mit den Alpen verbunden, andererseits auch rockig und poppig. Sie sind also eigentlich die europäische Version der Eagles.
Gibt es etwas, was Sie nicht machen?
Wenn es blutig wird, gibt es bei mir eine Grenze. Ich habe zwar auch Wrestling gemacht, war mit Tom Gerhardt deswegen auch einmal für 24 Stunden in Washington D.C.. Aber UFC, also die Ultimate Fighting Championship, würde ich nicht machen. Auch politisch habe ich Grenzen. Braune Kultur unterstütze ich nicht.
Aber Ihre Heimat ist die sogenannte U-Musik?
Keineswegs. Wir präsentierten Ballett und Klassik. Ich habe ein Konzert von Lang Lang auf der Domplatte in Köln veranstaltet. Wir präsentieren als Deutschland-Premiere ein gemeinsames Konzert der Sopranistin Anna Netrebko mit dem Bassbariton Erwin Schrott.
Was hören Sie am liebsten?
Ich kann mich für viele Arten von Musik begeistern. Mein Schwerpunkt ist die schwarze Musik, R&B, Blues… Ich habe jetzt Henrik Freischlader im Piano in Dortmund gehört. Ein solches Konzert, R&B, Blues, verbunden mit modernen Elementen, zelebriert in drei Stunden, habe ich lang nicht mehr gesehen.
Sie graben sogar die Doors aus?
Fast alle. Ray Manzarek und Robby Krieger spielen im Juli im Kölner E-Werk. Jim Morrison auszugraben würde meine Kompetenzen überschreiten.
Video killed the Radiostar. Wie erleben Sie die Krise der Musikindustrie verursacht durch das Internet?
Der Markt hat sich verändert. Tonträger lassen sich viel schlechter verkaufen. Konzerte aber sind nicht kopierbar. Entweder bin ich dabei oder ich bin nicht dabei. Deshalb gehen Künstler länger und öfter auf Tour. Für uns Veranstalter wird es dadurch aber nicht leichter, denn der zu verteilende Kuchen wird nicht zwingend größer. Wir müssen noch sorgfältiger gucken, was funktioniert und was nicht.
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