Meine erste Begegnung mit dem „anderen Kino“ hatte ich 2007, als der Studienkreis Film an der Ruhr-Universität Bochum sein 40-jähriges Jubiläum feierte. Plötzlich sah ich mich im Hörsaal-Kino einem riesigen Penis gegenüber, der ein Filmfördergesetz zitiert und danach herzhaft ejakuliert. Dabei handelte es sich um Hellmuth Costards Film „Besonders wertvoll“. Dieser wurde 1968 ob seiner Anstößigkeit nach Einspruch der Staatsanwaltschaft aus dem Programm der (damals noch) Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen genommen, guerillamäßig nach Bochum transportiert und in dem kurz zuvor gegründeten Filmclub gezeigt. Costard war Teil eben jener Experimentalfilm-Bewegung, die das Medium vom Kino und seinen klassischen Konventionen befreien und eigene Spielorte und Festivals kreieren wollte. Wichtige AkteurInnen neben Costard waren Lutz Mommartz, Hartmut Bitomsky, Harun Farocki oder Werner Nekes und Dore O. Mit diesem „anderen Kino“ beschäftigt sich auch das Thema der 64. Ausgabe der Kurzfilmtage Oberhausen unter dem Titel „Abschied vom Kino. Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971)“. Hamburg war ein Hotspot der Bewegung, 1968 fand dort mit der „Hamburger Filmschau“ das erste unabhängige Festival statt. Das belgische Knokke war die Heimat des Experimentalfilmfestivals „Exprmntl“. In Oberhausen werden Arbeiten aus dieser Zeit gezeigt und mit AkteurInnen von damals diskutiert.
Das Festival wird in diesem Jahr außerdem um vier Sektionen reicher. Die erste, „Conditional Cinema“, versteht das bewegte Bild als fließende Kunstform, Mika Taanilas Projekt „live cinema“ ist der Auftakt. Neu sind auch die „Lectures“: Marisa Olson, Roee Rosen und Liam Young erhalten in dieser Sektion eine Carte blanche für ihre unterschiedlichen Ansätze Bewegtbilder zu präsentieren. Ebenfalls neu sind die Sektionen „Labs“ und „re-selected“, die beide gegen die Diktatur des Digitalen aufbegehren. Labs bietet Künstlerlaboren, die sich mit allen Bereichen des Analogfilms in der post-kinematografischen Ära beschäftigen, eine Plattform, „re-selected“ versteht Filmgeschichte als Kopiengeschichte.
Seit bereits 20 Jahren fester Bestandteil ist die MuVi-Sektion. Neben dem abendfüllenden Programmblock internationaler Musikvideos kann noch bis zum 5. Mai online für das beste deutsche Musikvideo gevotet werden. Weiblich dominiert sind in diesem Jahr die Profile. Von Fotografin und Filmemacherin Louise Botkay, den Regisseurinnen Eva Könnemann aus Deutschland und Salomé Lamas aus Portugal und dem rumänischen KünstlerInnen-Duo Florin Tudor und Mona Vatamanu werden kleine Werkschauen präsentiert. Hinzu kommen fünf Wettbewerbsprogramme, in denen 132 Kurzfilme und Musikvideos zu sehen sind. Insgesamt warten über 500 Filme aus mehr als 60 Ländern in Oberhausen darauf, entdeckt zu werden. Und wer weiß, vielleicht ist ja auch das ein oder andere gesprächige Genital dabei, das Filmgeschichte schreiben wird.
64. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen | 3. - 8.5. | Lichtburg Oberhausen | www.kurzfilmtage.de
Unbequem bleiben
NRW-Wettbewerb bei den 64. Oberhausener Kurzfilmtagen 2018 – Festival 05/18
Un-Ort Dusche und der Rapper von Köpenick
Verleihung der 20. MuVi-Award bei den 64. Kurzfilmtagen Oberhausen – Festival 05/18
Großes Kino mit kleinen Filmen
Der Kurzfilm als kreativer Motor für die Zukunft des Kinos – Vorspann 05/17
Kein Geheimtipp mehr
NRW-Wettbewerb bei den 62. Kurzfilmtagen Oberhausen – Festival 05/16
Keine Angst vor harter Kost
Preisträger der 62. Kurzfilmtage Oberhausen – Festival 05/16
Kritik mit Wumms
18. MuVi-Award bei den Kurzfilmtagen Oberhausen am 7.5. – Festival 05/16
„Auf das Risiko muss man sich einlassen“
Lars Henrik Gass, Festivalleiter der Kurzfilmtage Oberhausen, im Interview – Festival 05/16
Perspektiven jenseits des Patriarchats
Das blicke-Festival im endstation-Kino, Bochum – Festival 11/19
Blicke ins Ruhrgebiet und in die Ferne
Das Blicke-Filmfestival steht vor der Tür – Festival 11/19
Panfrikanismus
Ein Festival für den afrikanischen Film – Festival 09/19
„Frauenkörper unter Druck“
Die neue Leiterin des Internationalen Frauenfilmfestivals im Gespräch – Festival 04/19
Aus weiblicher Perspektive
Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln – Festival 04/19
Filme über Filme
Das NRW-Dokumentarfilmfestival Stranger than Fiction – Festival 01/19
Schnörkellos brisant
Das Filmfestival blicke schaut nach vorn – und auch im 26. Jahr genau hin – Festival 12/18
Montiert zum Toresschluss
Der Gewinner des blicke-Querdenkerpreises „Flüsse Täler Berge“ die Schließung des letzten deutschen Schienenwerks – Festival 12/18
Von außen und von innen
Diversität und ihre Repräsentanz beim Internationalen Frauenfilmfestival – Festival 04/18
In der Kürze...
„Linse“-Festival in Bochum belebt die Kurzfilm-Szene des Ruhrgebiets – Festival 01/18
Große Stars und kleine Leute
Außergewöhnliche Biografien bei „Stranger than Fiction“ – Festival 01/18
Vorurteilsfrei in die Augen
Das 25. blicke-Filmfestival des Ruhrgebiets – Festival 12/17
Politik und Unterhaltung
28. Kinofest Lünen ab 23. November in der Cineworld – Festival 11/17
Kontrollwahn trifft Kontrollverlust
Internationales Frauenfilmfestival IFFF vom 4.-9.4. in Dortmund – Festival 03/17
Mehr Mut
Bei den 31. Teddy Awards auf der Berlinale ging es um Toleranz – Festival 02/17
Festival im Festival
Kinofest Lünen zeigt Gewinnerfilme auf Berlinale – Festival 02/17