„Ortlose Stille“, der Ausstellungstitel beschreibt die menschenleeren Naturaufnahmen der beiden Fotokünstler im Museum unter Tage passgenau. Wie aus Raum und Zeit gefallen wirken Bernard Descamps‘ schwarz-weiße und Andreas Walthers farblich dezente, teils grauschwarze Bilder. Doch trotz ähnlich kontemplativer Anmutung ihrer Werke könnte ihr künstlerischer Ansatz, ihr Blick auf Landschaften kaum unterschiedlicher sein.
In den vorderen Ausstellungsräumen entfalten sich Walthers Fotoarbeiten, darunter fast fünf Meter lange Rollbilder. Der 1971 in Gießen geborene Fotograf, der auch in Taiwan lebt, nimmt unterwegs Motive wie beiläufig mit der Digitalkamera auf: Risse in bröckelndem Mauerwerk, Moose auf Stein, Berge in Nebel und Wolken, Herbstlaub. Oder in samtiges Schwarz getauchte Wälder und Wiesen: Bei geduldiger Betrachtung gewinnen diese Nachtimpressionen räumliche Tiefe, schälen sich Stämme, Zweige, Gras aus dem Dunkel. Mal entzieht Walther ihnen nachträglich die natürlichen Farben, mal setzt er Akzente, die aus der Fläche hervorzutreten scheinen. Manches wirkt wie gemalt, abstrahiert oder reliefartig. Mittels Bildbearbeitung und sorgfältiger Auswahl von Druckpapier, Pigmenten und Format bereitet der Fotograf sein Motiv so auf, dass das Resultat sinnlich und stimmungsvoll sein persönliches Erleben der Landschaft widerspiegelt.
Bernard Descamps‘ Arbeiten sind formal strenger, konzeptioneller. Der Pariser Fotograf, Jahrgang 1947, reist mit analoger Mittelformatkamera auf Motivsuche durch die Welt und entwickelt Filme klassisch im Fotolabor. Sein Blick ist ein grafischer, geprägt von harten Schwarz-Weiß-Kontrasten. 80 Aufnahmen aus seiner Werkgruppe „natura“ – allesamt in handlichem Quadratformat – breitet er im hinteren Ausstellungstrakt aus, vier Themen in vier Räumen: Bergmassive, zerklüftet und verschneit, sodass das eisige Weiß nahtlos mit dem Hintergrund verschmilzt. Seestücke mit schnurgrader Horizontlinie. Birkenwälder, mal ein einzelner Baum, mal Stämme dicht an dicht wie Barrieren. Im letzten Raum fliegen Vogelschwärme als Linien- oder Punktmuster vor strukturlos hellem Himmel. Die zeitlosen ästhetischen Bilder verlangen, dass man ihnen sehr nahekommt.
Ortlose Stille. Landschaftsfotografien von Bernard Descamps und Andreas Walther | bis 14.10. | Museum unter Tage | Bochum | 0234 322 85 23
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