Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
13 14 15 16 17 18 19
20 21 22 23 24 25 26

12.560 Beiträge zu
3.788 Filmen im Forum

Reif für die Insel? Irgendwie proben alle den Aufstand
Probenfoto: Stefan Arend

„Wir können nicht immer so tun, als ob wir die Leitkultur sind“

28. Mai 2015

Thomas Krupa inszeniert am Essener Grillo Shakespeares „Der Sturm“ – Premiere 06/15

trailer: Herr Krupa, wie nah ist „Der Sturm“ an der Gegenwart?
Thomas Krupa: Wir haben auch über digitale Welten gesprochen. Interessant ist erst einmal, dass Shakespeare damals selbst einen Zeitenwandel mitgemacht und sich dabei selbst komplett in Frage gestellt hat. Wenn wir das auf heute beziehen ist das wie der Sprung von der analogen zur digitalen Welt. Mit all den Überforderungen, in denen wir auch drin stecken. Diese Art der Digitalisierung, die der Prospero als Theaterexperiment macht – das ganze Stück ist ja von Shakespeare in Realzeit geschrieben – man vergisst oft, dass es um 14 Uhr beginnt und um 17 Uhr endet. In dieser Zeit klappt er diesen Kopf auf und dieses Gehirn produziert permanente Überforderung. Das ist ein Ansatz. Politisch gesehen ist das natürlich auch eine postkoloniale Studie, die Shakespeare da vorlegt. Das ist sehr interessant, zu sehen, was so ein Caliban sagt, wenn man ihn mal nicht reduziert auf so ein Ungeheuer, sondern auf jemanden, der einen politischen Anspruch hat und der auch warten kann, bis er irgendwann losschlägt. Und wenn man diesen White Trash, diese Kolonisatoren sieht, die an der langen Leine von Prospero über die Insel gejagt werden, auch dann ist man ganz schnell im Hier und Jetzt.

Wo wäre denn heute die von Imperialisten befreite Welt oder Insel?

Thomas Krupa

Foto: Stefan Arend

Thomas Krupa studierte Germanistik, Romanistik und Philosophie in Köln und Rom. 1996 wurde er Hausregisseur und Mitglied der Schauspieldirektion am Staatstheater Darmstadt. Von 2002 bis 2004 war er Oberspielleiter am Theater Freiburg, dann bis 2006 Hausregisseur und Mitglied der künstlerischen Leitung. Seitdem arbeitet er als freier Regisseur. Seit 2011 ist er Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.


Kuba ist jetzt leider vorbei. Es ist 15 Jahre her, dass ich da war, aber damals war das eigentlich auch schon ein kapitalistisches System.

Das Magische ist also aus der Welt verschwunden?
Ich glaube nicht, dass das Magische aus der Welt verschwunden ist. Überhaupt nicht. Ich glaube, dass es immer wieder magische Begegnungen und Momente gibt. Ich denke aber, dass dieser Magier Prospero, auf den Sie anspielen, einer ist, dessen Tricks nicht mehr richtig zünden. Bei diesem auch pädagogischen Experiment, das er da macht, braucht er „Magie“ und „Hilfe“, braucht einen Ariel, aber es wird schal.

Gewinnt am Ende nicht doch das Recht des Stärkeren?
Ja, am Schluss. Sehr interessant zu sehen, dass da am Ende eine Figur steht, die gekleidet ist wie dieser Magier Prospero, aber der steigt aus aus diesem Film. Das ist ein bisschen so wie bei Woody Allens „The Purple Rose of Cairo“. Auch Prospero stellt sich hin und sagt, wenn jetzt alles weg ist, dann entscheidet ihr, der geht hin und sagt: open end. Machen wir Mailand? Bleiben wir hier? Natürlich hat sich diese Figur Prospero am Ende selbst in die Sackgasse geritten. Und er versucht irgendwie sein, ich sag mal, westeuropäisches, humanistisch-zivilisatorisches Ideal da weiterzutreiben und weiß eigentlich, dass er verloren hat. Er weiß, dass wir mit so einem Gedanken oder Entwurf von Gesellschaft nicht weiterkommen. Das ist sehr interessant zu sehen, wie so eine Figur wie Gonzalo verlacht wird. Über diesen Naturentwurf, den er da macht – das Gegenteil von Imperialismus. Und sich in dieser Figur Prospero eigentlich so ein sehr hierarchisches, machiavellistisches Denken spiegelt.

Brave New World wäre dann der neue alte Feudalstaat?
Weder noch. Die Insel ist nur dann Brave New World, wenn es eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Caliban gäbe und nicht nur auf dieser Macht- und Unterdrückungsschiene. Das ist ja das Problem, das wir derzeit haben, wir sind alle schockiert von IS und wissen nicht, wie wir mit diesen Flüchtlingsströmen umgehen sollen. Also was ist Europa jetzt gerade? Wer entscheidet eigentlich, wer hier lebt und was Heimat ist? Ich denke, dass weder die Insel die Lösung ist, zumindest nicht so wie sie sich Prospero dort denkt und gestaltet, dafür müsste er freier sein. Das versucht er am Ende, indem er versucht, diese Magie und damit auch diesen Zwang, diese Unterdrückung, dieses stasihafte Abhören, das in ihm drinsteckt, irgendwie beiseite zu drängen. Aber es funktioniert dann nicht mehr. Er ist zu sehr verhaftet in einem System, was sich überlebt hat. Und da sind wir wieder bei diesem Zeitenwandel. Wir müssen uns heute auch überlegen, wie gestalten wir denn eine Gesellschaft von morgen. Und wir können ja nicht immer so tun, als ob wir die Leitkultur sind. Mit dieser Frage muss man sich beschäftigen, wenn man dieses Stück inszenieren will.

War Shakespeare eben altersweise, fünf Jahre vor dem Tod?
Ich glaube, dass er eher altersunruhig war, sehr genau diese seismografischen Veränderungen aufgenommen hat und mit sich selbst auch knallhart ins Gericht gegangen ist. Ich glaube überhaupt nicht an das Klischee von diesem Stück, das man immer sagt, das sei das letzte Stück von Shakespeare und er sage so: „Farewell, everybody.“ Das stimmt nicht. Er hat danach noch zwei Stücke geschrieben. Er geht immer aus vom leeren Raum, also wirklich vom Theater. Und wenn man mal unter die Texte drunter geht, könnte ich aufzeigen, wo die einzelnen Figuren stehen – da ist eben nicht nur der in Versen sprechende Caliban, den er nicht mehr kontrollieren kann, obwohl er ihn erzogen hat – bei uns ist der eher ein sanftes Monstrum mit ziemlich anarchischem Potential. Auch die anderen Figuren, versuchen immer wieder aufzubegehren gegen die Fremdbestimmung. Selbst die eigene Tochter. Und gleichzeitig benutzt Prospero halt die gesamte Theatermaschinerie.

„Der Sturm“ | R: Thomas Krupa | Sa 13.6.(P), Sa 20.6., Fr 26.6. 19.30 Uhr | Grillo-Theater Essen | 0201 812 26 00

INTERVIEW: PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

IF: Imaginäre Freunde

Premiere.

Hier erscheint die Aufforderung!