Alt genug für den Ruhestand ist Silvia Pieler-Kempkens noch lange nicht. Als ihr Arbeitgeber ihr vor drei Jahren einen Auflösungsvertrag vorlegte, mit dem sie den Verzicht auf ihren Arbeitsplatz unterschreiben musste, hatte sie noch fast zehn Jahre bis zum regulären Rentenalter: „Die ganze Abteilung wurde damals aufgelöst und die meisten meiner Kollegen entlassen“, erzählt die heute 59jährige ehemalige Bankangestellte. Nach 33 Jahren Arbeit brachte der massive Stellenabbau der Banken sie um ihre Arbeit. „Ich wollte damals erst einmal durchatmen, alles ein wenig ruhiger angehen“, erinnert sie sich an ihre Pläne bei der Unterschrift unter den Auflösungsvertrag.
Eine Erkrankung ihres Bruders machte die Absichten der engagierten Bankkauffrau damals allerdings zunichte: „Statt zu arbeiten, übernahm ich die Pflege bis zu seinem Tod im Juni 2011.“ Was tun? war danach eine Frage für sie, die sich auch aus sehr pragmatischen Gründen stellte: „Das Problem mit dem Ende meiner Berufstätigkeit war der Verlust der Sozialversicherung. Ich brauchte eine Krankenversicherung.“ Eine kostenfreie Familienversicherung schied aus, da ihr Mann privatversichert war. Das Geld für eine eigene Krankenversicherung fehlte im Familienbudget schmerzlich. Was sie vom Bundesfreiwilligendienst hörte, weckte schnell ihr Interesse: „Etwas Sinnvolles machen und dabei sozialversichert sein, das war genau das, was ich wollte.“ Im Internet begann sie, sich umfassend zu informieren, führte viele Telefongespräche und schaute sich um bei den angebotenen Stellen: „Altenheime und Krankenhäuser hatten Stellenangebote für Bufdis, und beides konnte ich mir vorstellen.“ Weil Krankenhäuser sie allerdings zu sehr an die Zeit mit ihrem sterbenden Bruder erinnerten, entschied sie sich anders.
Sie macht, was ihr gefällt, und hat bislang keinen Tag als Bufdi bereut
„Irgendwann fand ich das Angebot, in einem Laden der Diakonie zu arbeiten.“ Zwanzig Stunden pro Woche verkauft sie mittlerweile in Essen-Frohnhausen gebrauchte Kleider, Bücher und andere Dinge. Für 18 Monate hat sie sich verpflichtet. Einen Tag pro Woche hat sie frei, konnte ihre Arbeitszeiten mitgestalten, macht, was ihr gefällt, und hat bislang keinen Tag als Bufdi bereut: „Die allgemeine Wegwerfmentalität finde ich nicht gut. Die Dinge weiter zu nutzen, ist besser. Wir bekommen Kleidung, Kinderkleidung, Bücher, manchmal auch säckeweise die Sachen von Verstorbenen, schauen sie durch, stellen sicher, dass alles sauber und in bestem Zustand ist, und verkaufen es.“ Kein Knopf darf fehlen, auch sonst nichts beschädigt sein an der Ware, die noch Interessenten finden soll. Sinnvolle Arbeit, die praktische Sozialversicherung und auch ein bisschen die Erfüllung eines alten Wunsches ist die Tätigkeit im Laden für die Ehrenamtlerin. „Schon als Kind habe ich gerne verkauft“, gibt sie schmunzelnd zu, „im Bahnhofsladen meiner Oma.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
„Jeder Mensch braucht seine Tagesdosis an Bedeutung für andere“
Klaus Dörner über den Trend zum freiwilligen Helfen – Thema 06/12 Freiwillig
„Die Nachfrage ist ungebrochen hoch“
Antje Mäder zum Bundesfreiwilligendienst aus Sicht der betreuenden Behörde – Thema 06/12 Freiwillig
Freiwillig und zivil
Der Bundesfreiwilligendienst feiert im nächsten Monat Geburtstag - THEMA 06/12 FREIWILLIG
Generation Arschkarte!
Lioba Albus über die Leiden der Bufdis und der Prä-Senioren - Thema 06/12 Freiwillig
„Es gibt zu wenig finanzierte Plätze“
Wilfried Theißen über die Lage beim Paritätischen Wohlfahrtsverband – Thema 06/12 Freiwillig
Kampf um Kalorien
Intro – Den Bach runter
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 1: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
„Extrem wichtig, Druck auf die Politik auszuüben“
Teil 1: Interview – NABU-Biodiversitätsexperte Johann Rathke über Natur- und Klimaschutz
Unter Fledermäusen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Arbeitskreis Umweltschutz Bochum
Keine Frage der Technik
Teil 2: Leitartikel – Eingriffe ins Klimasystem werden die Erderwärmung nicht aufhalten
„Klimakrisen sind nicht wegzureden“
Teil 2: Interview – Der Ökonom Patrick Velte über die Rückabwicklung von Nachhaltigkeitsregulierungen
Von Autos befreit
Teil 2: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln
Nach dem Beton
Teil 3: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten
„Städte wie vor dem Zweiten Weltkrieg“
Teil 3: Interview – Stadtforscher Constantin Alexander über die Gestaltung von Wohngebieten
Für eine gerechte Energiewende
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Wuppertaler Forschungsprojekt SInBa
Vielfalt in den Feldern
Belohnungen für mehr Biodiversität in der Landwirtschaft – Europa-Vorbild: Österreich
Was bleibt
Die Natur und wir – Glosse
Hört das Signal
Intro – Gesund und munter
Heimat statt Pflegeheim
Teil 1: Leitartikel – Seniorengerechtes Bauen und Wohnen bleibt ein Problem
„Wo Regelmäßigkeit anfängt, sollte Nachbarschaftshilfe aufhören“
Teil 1: Interview – Architektin Ulrike Scherzer über Wohnen im Alter
Gemeinsam statt einsam
Teil 1: Lokale Initiativen – Wohnen für Senior:innen bei der Baugenossenschaft Bochum
So ein Pech
Teil 2: Leitartikel – Opfer von Behandlungsfehlern werden alleine gelassen
„Der Arzt muss dieses Vertrauen würdigen“
Teil 2: Interview – Kommunikationswissenschaftlerin Annegret Hannawa über die Beziehung zwischen Arzt und Patient
Gesundheit ist Patientensache
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Patientenbeteiligung NRW in Köln
Privatvergnügen
Teil 3: Leitartikel – Die Zweiklassenmedizin diskriminiert die Mehrheit der Gesellschaft