In Zeiten rechtspopulistisch aufgeladener Debatten und einem Gefühl der Abstumpfung und Ohnmacht beim abendlichen Nachrichtenprogramm ist es gut, dass der Kinofilm immer noch dahin schaut, wo wir mittlerweile am liebsten nicht mehr hinschauen möchten. Beispielsweise entlang unserer EU-Außengrenzen, wo tagtäglich vor Armut flüchtende Menschen ihr Leben lassen müssen, während Seerettungsschiffe mit juristischen Spitzfindigkeiten und Taschenspielertricks an der Ausfahrt zur Menschenrettung gehindert werden und die Politik darüber weitestgehend schweigt. An diesen Außengrenzen spielt „Styx“, der am 10. September in der Essener Lichtburg seine Premiere feiert. Ein ozeanisches Kammerspiel, in dem wir der Skipperin Rike zusehen, die mit ihrem Segelboot von Gibraltar auf das Urlaubsparadies der Insel Ascension zu steuern will und sich nach einem Sturm stattdessen alleine auf dem offenen Meer mit einem in Seenot geratenen Fischkutter wiederfindet, auf dem hunderte Flüchtlinge aushaaren. Das Boot droht unterzugehen. Doch auf ihrem 40 Fuß langen Segelboot kann die Seglerin nicht alle Menschen aufnehmen und Hilfe von Dritten ist nicht in Sicht. Mit dieser Situation kreiert Regisseur Wolfgang Fischer ein allegorisches Drama und konfrontiert die ZuschauerInnen mit der Frage danach, wie sie sich verhalten würden, während wir der Protagonistin regelrecht beim Denken und moralischen Abwägen zusehen können. Damit schafft es „Styx“, uns wieder eine Form des Gefühls und der Empathie zurückzugeben, die uns in den Debatten um die Flüchtingskatastrophe manchmal verloren zu gehen scheint. Das zu sehen, ist zwar sicher kein reines Wohlfühlkino, dennoch ist es ein besonderer Wert, wenn es Film schafft Fiktion, Wirklichkeit und Gegenwart so miteinander zu verflechten, dass wir nicht nur unterhalten sind, sondern uns Realitäten wieder emotional näher erscheinen, als sie es leider oftmals sind.
Dem Komplex Afrika widmet sich auch das 16. Afrika Film Festival, das zwischen dem 13. und dem 23. September in Köln stattfindet. Vom Afrofuturismus bis hin zum Neo-Western steht hier das wenig beachtete afrikanische Kino im Vordergrund. Doch inmitten diesem wird auch ein besonderer Blick auf die Migration bzw. die innerafrikanische Migration geworfen, die im Übrigen beträchtlich höher ausfällt, als die Migration ins reiche Europa. Durch die massenhaften Fluchtbewegungen innerhalb des Kontinents nehmen auch in Afrika Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit zu. Offene Wunden an fast vergessenen (Landes)Grenzen zeigt uns beispielsweise auch „Donbass“, der am 30. August in den Kinos startet. Sergei Loznitsas Ensemble-Drama zeigt den Alltag im Kriegszustand im Osten der Ukraine anhand mehrerer Figurenschicksale. Ein Kriegszustand, der fast gänzlich aus der medialen Berichterstattung verschwunden ist. Das ist harte Kost für den Spätsommermonat, aber es ist gut, dass es diese (politischen) Filme gibt, die eben nicht nur unterhalten, sondern uns auch fordern. Filme, die dabei an die Grenzen gehen und uns nicht wegschauen lassen. Denn es sind diese (Außen)Grenzen unseres Kontinents, an denen Menschen sterben, während die medialen Diskurse hierzulande manchmal in Scheindebatten münden, die uns beinahe suggerieren, dass es diese Krisen nicht mehr gibt.
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