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Foto: Reinhard Werner

"Ich bin abolut gegen eine Eventisierung der Theaterlandschaft"

01. Juni 2010

Udo Balzer-Reher über die 35. Ausgabe der Mülheimer Theatertage - Premiere 06/10

Das Forum deutschsprachiger Gegenwartsdramatik ist im vollen Gange. Sieben bis acht Stücke in der wirksamsten Aufführung – meist der Uraufführung – werden jährlich in Mülheim an der Ruhr gezeigt. Die Theatertage sind in ihrer Konzeption noch immer einzigartig. Bewertet werden neue Stücke – nicht die Inszenierungen. Der letzte Bewerber um den Dramatikerpreis tritt im Juni an.

trailer: Herr Balzer-Reher, Sie sind seit 1992 Festivalleiter. Damals gewann Werner Schwab den Dramatikerpreis. Sind die aktuellen Stücke immer noch auf diesem Qualitätsniveau?

Udo Balzer-Reher: Es hat ja viele Autoren danach gegeben, denen man nachgesagt hat, sie schrieben im Schwabschen Stil. In seiner Zeit war Schwab ziemlich singulär in seiner Sprache, in seiner Form. Als er hier in Mülheim war, war er also Vorreiter für Text am Theater. Ich würde mal behaupten, dass die Qualität in den Texten über die Jahre schon sehr konstant geblieben ist. Ansonsten hätten wir auch jetzt nicht die 35. Ausgabe dieses Festivals. Weil der Fokus schon immer sehr kritisch ist und die Beobachtung in so einer eher kleinen Stadt wie Mülheim viel genauer als beispielsweise in Berlin, München oder Hamburg. Ich glaube, dass wir uns da bis heute behaupten konnten.

Aktuelle Autoren machen eher schnelles Dokumentartheater. Selbst Elfriede Jelineks Bankenklatsche passt da hinein. Haben zeitlose Themen keinen Marktwert mehr? In der Zeit, als viele Familien- und Inszeststücke auf die Bühne kamen, hat man den Autoren gesagt, dass sie doch endlich mal aus ihren Wohn- und Schlafzimmern raus müssten. Nun haben sich die meisten auch aus der Nabelschau verabschiedet, schreiben in der überwiegenden Zahl politische Stücke. Das kann man ihnen ja jetzt nicht wieder vorwerfen. Ich finde die Entwicklung wesentlich interessanter, wenn die anderen Themen, die sich Autoren aussuchen, natürlich auch ihre Berechtigung haben. In solchen Zeiten wie heute finde ich es aber herrlich, wenn so ein Stück wie der „Kontrakt des Kaufmanns“ von Elfriede Jelinek auf die Bühne gebracht wird. Und der Begriff Dokumentartheater trifft bei Jelinek nicht.

Trotz einer Flut von neuen Stücken wurde wieder ein Platz nicht besetzt. Gibt es da Taktiker hinter den Kulissen? Ist das Modell des Auswahlverfahrens noch sinnvoll nach 35 Jahren? Ich weiß nicht, wer sich da immer verzählt. 1976 hat man festgelegt, dass die Richtschnur fünf bis sieben Stücke sein soll. Wir sind in den letzten Jahren durch die Zuschüsse von Land und Bund nicht gezwungen, weniger als sieben Stücke zu zeigen. In den letzten Jahrzehnten haben wir also im Mittel sieben Stücke ausgewählt. Es hat Jahre gegeben, wo wir auch acht Stücke gemacht haben, aber auch nur dann, wenn sie vom Nominierungsgremium als würdig erachtet wurden. Es gibt keine verbriefte Zahl. Es gibt auch in diesem Jahr kein zurückgehaltenes Stück. Die Auswahl hat auch nichts mit Strategie und Taktik zu tun. Ökonomisch gesehen können fünf Stücke teurer sein als zehn, da wir keinen Einfluss auf die Auswahl und damit auf den unterschiedlichen Aufwand der Inszenierungen haben.

Wer hätte denn mehr Chancen: das gute Stück in einer schwachen Inszenierung oder das schwache Stück in einer sehr guten Inszenierung? Die Auswahl wird immer vom Wahlgremium, wo ich ja dabeisitze, von Stück zu Stück entschieden. Erst werden die Texte gelesen. Dann verständigt sich das Gremium in einem internen Forum über die Stücke. Natürlich ist es so, dass jemand nach dem Lesen sagt, zu dem oder dem Stück müsse man hin, und vor Ort denkt man dann, oh Graus, diese Inszenierung kommt dem Stück nicht entgegen. Anders herum kann es sein, dass die Jury denkt, es sei kein besonders guter Text, sie fahren hin, sind begeistert, weil sich erst durch die Inszenierung der Text erschlossen hat. Beides ist möglich. Wo sie schon aufpassen, ist, dass ein junger Autor nicht mit einer Inszenierung vorgestellt wird, die ihm nicht gerecht wird. Denn das kann ihn schon für zwei, drei Jahre zurückwerfen. Eine Jelinek könnte man schon in einer schwächeren Inszenierung zeigen, weil der Text stark genug ist.

Die Mülheimer Stücke sind ein Organisationsmarathon. Dafür ist der Preis inzwischen hochgerühmt und schwer begehrt. Goldene Zukunft? Die Preishöhe von 15.000 Euro könnte natürlich diskutiert werden, aber eine Erhöhung ist kulturpolitisch momentan nicht durchsetzbar. Organisatorisch hüpfen wir immer auf der Kante, denn das Gremium entscheidet erst Mitte März, und im Mai ist schon die Stücke-Eröffnung. Das ist relativ kurz, denn in den acht Wochen passiert alles. Druckerzeugnisse müssen erstellt, der Vorverkauf organisiert werden. Ökonomisch ist es ein Ritt auf der Rasierklinge, aber bisher ist alles gut gegangen.

Was will man als Festivalleiter vermeiden? Ich bin absolut gegen eine Eventisierung der Theaterlandschaft. Ich bin da eher trocken und spartanisch unterwegs. Ich bin froh darum, dass wir diese Form in Mülheim durchhalten konnten. Wir stehen für ein seriöses Festival. Unser Drumherum ist kein Klimbim, hat immer einen Bezug zum Festival. Wir organisieren zum vierten Mal ein Symposium über zwei Tage und haben uns jetzt ernsthaft mit den Kinderstücken auseinandergesetzt. Das ist von der Stadt so akzeptiert, auch die anderen Zuschussgeber sind damit zufrieden. Seriosität ist die erste Pflicht des Festivals. Wie sagte schon Hansgünther Heyme: Lieber Advent als Event.

Noch zu sehen: Fr, 28.5., 19 Uhr I Stadthalle: Dea Loher „Diebe“ (Deutsches Theater Berlin) So, 30./Mo, 31.5., 19.30 Uhr I Theater an der Ruhr: Dirk Laucke „Für alle reicht es nicht“ (Staatsschauspiel Dresden) Mi, 2./Do, 3.6., 19.30 Uhr I Stadthalle (Studio): Ewald Palmetshofer „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ (Schauspielhaus Wien) Infos: 0208 96 09 60

ZUR PERSON

Udo Balzer-Reher, geboren in Mülheim an der Ruhr, ist Diplomverwaltungswirt. Nach Leitung der Arbeitsgruppe „Kulturförderung und Begegnungsstätten“ des Kulturamtes übernahm er 1992 die Leitung des Theater- und Konzertbüros des neuen Kulturbetriebs Mülheim und die Leitung der Mülheimer Theatertage „Stücke“. Bei ihm laufen während der Vorbereitung der Theatertage alle Fäden von Auswahlgremium, Theatern, Verlagen und Spielstätten zusammen.

PETER ORTMANN

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