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Krieg beginnt mit Worten
Foto: freshidea / Adobe Stock

Glaubenskrieg

29. November 2022

Politische Narration im bewaffneten Konflikt – Teil 1: Leitartikel

Sternzeit 3156,2. Die Enterprise macht Halt vorm Planeten Beta III. Die Gesellschaft dort benimmt sich seltsam friedliebend. Der Grund: Die Bewohner sind einem System unterworfen, das sie telepathisch zu frommen Schafen formt. Dies alles beruht auf einem ehernen Konzept: Eine Welt ohne Hass zu errichten, ohne Angst, Krieg und Konflikt. Die Kosten: Freiheit und Individualität. Captain Kirk befreit das Volk und fragt kurz vorm Abflug, wie es jetzt so liefe: „Könnte nicht besser sein“, jubelt ein befreiter Betaide, „wir hatten Ehestreits und zwei echte, schwere Schlägereien. Kein Paradies, aber menschlich.“

Mythos kreative Gewalt

Dass, wer nicht grausam sein darf, nicht frei sein kann, ist eine der ältesten Narrationen der Welt. Der Mensch ist anmutig, der Mensch ist roh. Jekyll & Hyde. Der Mensch ist kriegerisch. Das bringt ihn voran, Konflikte machen kreativ. Raubt man ihm sein Gewaltpotenzial, mutiert der Mensch zum seelenlosen Wesen. Diese (klar: männliche) Narration zieht sich bis in die Religion: Wer fragt, warum Gott bloß all das Grauen zulässt auf Erden, erhält die Antwort, dass, wenn Gott eingreifen würde, der Mensch nicht mehr frei und selbstbestimmt wäre. Der kriegerische Mensch ist kulturell legitimiert.

Um nun den Menschen in einen Krieg zu führen, bedarf es allerdings weiterer Narrationen. Wikipedia definiert Krieg als einen „mit Waffen und Gewalt ausgetragenen Konflikt (…), an dem planmäßig vorgehende Kollektive beteiligt sind. Ziel der beteiligten Kollektive ist es, ihre Interessen durchzusetzen“. Die Interessenvertreter setzen im Krieg für gewöhnlich erst im zweiten Schritt auf Gewalt. Der erste Schritt ist die Narration. Narration ist eine Massenmobilisierungswaffe – das kommt auch angegriffenen Kollektiven zugute wie derzeit der Ukraine. Die Narration von Kriegsparteien stützt sich dabei erfahrungsgemäß nicht zuvorderst auf dieWahrheit. Je greifbarer die Erzählung vom Sender verpackt wird – und je mehr sie vom Empfänger geglaubt werden will, desto effektiver ist sie: Vom „Präventivkrieg“ der USA gegen den Irak, dessen Narration zufolge Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hortete, bis hin zu Putins aktueller „militärischer Spezialoperation“, die den Tatbestand des Kriegs an sich schlichtweg negiert. Aus Angriff wird Verteidigung: Bevor Aggressoren zuschlagen, definieren sie sich gern als (historisches) Opfer. Es wird zurückgeschossen.

Die eigenen Reihen

Derlei hanebüchene Rechtfertigungsrhetorik gilt dabei nicht etwa dem Kollektiv, das man angreift. Kriegserklärung? Warum dem Gegner den Krieg erklären? Wer in den Krieg zieht, braucht das offenbar nur möglichst glaubwürdig vor dem eigenen Volk und den Verbündeten zu rechtfertigen. Kriege sind Glaubenskriege. Wenn Putin vor der Weltbühne sein Vorgehen rechtfertigt, adressiert er dabei gar nicht die empörte westliche Zivilisation, sondern bloß die eigenen Reihen. Gleiches kennen wir von Donald Trump: Bravourös gestreuter Unfug, der sich nur an die richtet, die ohnehin hinter ihm stehen. Nach vier Jahren hatte Trump damit zwar unmittelbar keinen Krieg losgetreten, aber eine Nation entzweit und die Demokratie an ihren Grundfesten erschüttert.

Der wache Geist ist ein kostbares Gut in diesen Zeiten. China, Europa, Vereinte Nationen: Wer agiert, wer kämpft aus welchem Interesse, als Aggressor, als Stellvertreter, als Schlichter? Alle sind gefordert in diesen Zeiten, in denen man vieles kritisch hinterfragen muss, ohne dabei grundsätzlich alles und jeden in Frage zu stellen. Viel Erfolg!


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Hartmut Ernst

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