Für den Aufklärungsdichter Klopstock hatte es noch eine offenbarende, musische Wucht. Für AkteurInnen eines modernen Dichterwettstreits kommt das Gewitter nur als ein störender Begleitumstand daher, als es kurz vor dem Finale am U-Turm angkommt. Moderator Rainer Holl fordert das junge Publikum zu einem lautstarken Applaus gegen das Unwetter auf. „Wenn, dann schlägt's im U ein“, scherzte er.
Während es immer dunkler wird, die OrganisatorInnen schon Schirme und Teppiche einrollten, gehen auch die ersten Gäste, als es zu regnen anfängt. Aber Rainer Holl will weiter machen – und muss nachfragen: „Ist die Jury noch anwesend?“ Während sich diese längst auflöst, kündigt er seinen eigenen Slam-Beitrag an: „Einen Text über das Spießig-Sein – ihr Geher.“ Ein lauter Donner ertönt. Unmut im Restpublikum. Weitere „Geher“ türmen. Rainer Holl macht weiter.
Kritisch slamt er gegen die neoliberalen Zumutungen: Generation Bornout, Praktikum, Bachelor. Auch die Hipster-Brigaden bekommen ihr Fett weg. Inzwischen fegt der Wind die Regenfälle über die Leonie-Reygers-Terrasse. „Sollen wir kurz Pause machen oder weiter machen?“, fragt Holl an das Publikum. Vor der Bühne klafft allerdings nur noch ein leerer Raum. Bloß zwei Regenjackenfiguren des Orga-Teams beschäftigen sich mit dem Abbau. Der Rest drängt sich in einen überdachten Bereich neben dem U.
Literarischer Lichtblick an diesem Abend: Die Texte von Laura Reichel
In der Hektik geht leider Laura Reichels Finaltext über die Widrigkeiten der Arbeitslosigkeit unter – sehr schade, ist doch ihr vorheriger Text „Angekommen“ so überzeugend. Eine Art Fernwehhymne die Verse, mit denen sie einsteigt. Das lyrische Ich erzählt von fremden Städten, von flüchtiger Liebe, die zugleich Fluch ist. Das existentielle Dilemma wird zur Sentenz verdichtet: „Bloß kein Stillstand. Denn wer stehen bleibt, der erlebt nichts.“ Für wohltuende Entschleunigung steht am Ende eine heimatliche Rückkehr: „So schön, so schön, Zuhause zu sein.“ Reichels Beiträge sind an diesem Abend ein kleiner Lichtblick. Der einzige Text, der sich der Literarizität nicht vollends entzieht. Der Rest ist oft nur seichter Comedy-Ulk: Jonas Jahn dichtet über das „fäkale Meer“ von Festival-Dixie-Klos, Sandra Da Vina philosophiert über Menstruation.
Trotzdem findet der Sommer im U-Slam einen spannenden Einstieg. Der Beitrag von Moderator Rainer Holl thematisiert die urbane Bohème im Ruhrpott. Die gerappten Verse sprechen eine Veränderung im Raum an, verschweigen nicht eine repressive Autorität, die die künstlerische Minorität vertreibt. Das entbehrt keiner Ironie: Hinter der Bühne erhebt sich wie eine gentrifizierende Ankündigung ein graues Baugerüst, während munter über den Kampf um Raum geslamt wird: „Kreativität ist, wenn man trotzdem bleibt.“
Geblieben sind an diesem Abend jedoch nur noch die Hartgesottenen. Gäste wie SlammerInnen flüchtet sich unter ein schmales Refugium neben dem U, wo das Finale improvisiert wird. Die Jury ist da nicht mehr existent, ein lärmender Stimmungsbarometer muss als Ersatz herhalten. Für den Sieger Jan Philipp Zymny, der eine schräg-wütende Yoga-Bewältigung einer nicht erwiderten Liebe schildert, gibt es den lautesten Applaus. Da ist es nur noch eine Randnotiz, dass sich das Gewitter verzogen hat. Klopstock hätte dem sicher noch ein paar Verse gewidmet.
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