„Walk On! Walk On! With hope in your heart, and you'll never walk alone”. Jau. Gerry & The Pacemakers. FC Liverpool. Passt. Ha! Ho! Heja heja he! Ha! Ho! Heja heja he! ist Vogelkot. Auch wenn Fußball unser Leben sein soll. Das Leben ist es nicht. Schwarzrotgoldene Erinnerungen. WM 2010 Viertelfinale. Eine kleine Kneipe in der Eifel. Deutschland gegen Argentinien. Ein schicker Abend. 4:0. Euphorie. Danach das Grauen im Fahnenmeer eines Autokorsos. Wildfremde Menschen fuchteln mit kleinen Teutonen-Fähnchen ins Auto, meine Augen bleiben unverletzt, das letzte Fähnchen nicht. Es liegt immer noch sorgfältig gefaltet in meiner Autotür-Ablage: Ich könnte unterwegs ja mal Schnupfen kriegen. Nie war mir dieser Pseudo-Nationalismus so zuwider wie bei diesem Fußballturnier im weit entfernten Südafrika, aufgesetzte Fröhlichkeit, Umsatzrekorde im Textileinzelhandel und der Getränkeindustrie und dann war es ja auch ziemlich schnell vorbei gegen die wirbelnden Spanier. Komisch. Der Größenwahn verblasste in einer Nacht. Was blieb, waren unnötige Boshaftigkeiten gegen den kiffigen Nachbarn, der es ins Finale schaffte - und erst dort verlor, gegen etwas das heute Tiki-Taka genannt wird.
Nach vier Jahren ist nun wieder WM Showtime. So langsam kocht die bundesdeutsche Volksseele wieder hoch. Wieso bloß immer beim Fußball? Wieso nicht auch bei täglichen Ungerechtigkeiten? Das erste Spiel. 4:0 gegen Portugal. Da sind wir schon wieder Weltmeister. Stolz werden selbst PKW-Außenspiegel schwarzrotgolden umhäkelt, die kleinen Teutonen-Fähnchen flattern wieder bedenklich auf der Autobahn. Wir sind wieder wer, aber waren wir das nicht immer? Vier Tage lang sonnten wir uns, mit Nationalhymne. Blüh im Glanze dieses Glückes. Um Himmels willen. Die sunnitischen ISIS-Kämpfer stehen vor Bagdad, der Papst hat die Mafia exkommuniziert, in der Ostukraine brennt die Lunte und wir sollen im Gleichschritt gemeinsam gegen Ghana? BILD liefert vorher schon mal online zehn Gründe, warum die uns nicht stoppen können. Genau diese Haltung ist zum Kotzen. Gröhl. Denn genau an diese „deutsche“ Kampagne muss ich denken, als es 1:2 gegen Ghana stand. Die hatten ja auch wieder ihren Voodoo-Priester auf der Tribüne. Geholfen hat es gegen Klinsis US-Boys nicht und gegen Jogis Edelpilze auch nicht. Ein alter Mann rettete Deutschland vor der internationalen Blamage. Mal wieder. Nun muss man doch wieder auf das letzte Spiel hoffen. Wir werden sehen. Soll der beste gewinnen, selbst wenn wir das nicht sind. „Davon geht die Welt nicht unter.“ Wieso Zarah Leander und wieso immer diese Liedzeilen, die da hoch kommen? Keine Ahnung. Draußen ist es seltsam still. Etwa kein Autokorso? Kein trunkenes Gröhlen? Deutschland. Deutschland. In der TV-Werbung habe ich gerade einen anderen alten Mann gesehen, der in seiner Jugend ein törichtes Liedlein aufnahm: „Glück kannst du leicht ertragen, Wenn dir die Sonne scheint, Aber in schweren Tagen, Da brauchst du einen Freund,“ heißt es da. Irgendwie muss ich grinsen. Nur der Kaiser hat immer recht.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Nicht alles glauben!
Wahlkampf NRW: Kampagne der Landesanstalt für Medien NRW – Spezial 09/25
Protest gegen Wucher
Online-Gespräch zur Geschichte der Berliner Mietenbewegung – Spezial 08/25
Die Vergangenheit ruhen lassen?
Vortrag über die Essener Justiz nach der NS-Zeit im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 08/25
Das Ende des Weltmarkts?
Online-Vortrag zur deutschen Wirtschaftspolitik – Spezial 07/25
Der deutschen Identität entkommen
Verleihung des taz Panter-Preises in Bochum – Spezial 07/25
Schuld und Sadismus
Diskussion am KWI Essen über Lust an der Gewalt – Spezial 07/25
Hab’ ich recht?
Diskussion über Identität und Wissen im KWI Essen – Spezial 06/25
Die Rechte erzählt sich gerne was
Diskussion über rechte Ideologie und Strategie im KWI Essen – Spezial 06/25
Kriegstüchtig und friedfertig
Diskussion über europäische Sicherheitspolitik in Dortmund – Spezial 06/25
Im Spiegel der Geschichte
Die Ausstellung „Die Rosenburg“ im Bochumer Fritz Bauer Forum – Spezial 06/25
Ein Leuchtturm für Demokratie und Menschenrechte
Eröffnung des Bochumer Fritz Bauer Forums – Spezial 06/25
Das Internet entgiften
Workshop zu Hassrede in der VHS Essen – Spezial 05/25
Auslöschen der Geschichte
Diskussion über Erinnerungskultur in Argentinien im Bochumer Fritz-Bauer-Forum – Spezial 04/25
Mythos des Widerstands
Die Lesung „Das deutsche Alibi“ in Bochum – Spezial 04/25
Klasse der Marginalisierten
Vortrag über Armut in der VHS Essen – Spezial 03/25
Neue Bündnisse, alte Krisen
Online-Diskussion „Wie weiter nach der Bundestagswahl?“ – Spezial 02/25
Deckeln gegen die Mietbelastung
Online-Diskussion „Sind die Mieten noch zu bremsen?“ – Spezial 01/25
Was erreicht worden ist
Warum Nostalgie auch in die Zukunft weist – Spezial 01/25
Ehrung für ein Ruhrgebiets-Quartett
Verleihung des Brost-Ruhr-Preises 2024 in Bochum – Spezial 11/24
Klimaschutz = Menschenschutz
„Menschenrechte in der Klimakrise“ in Bochum – Spezial 11/24
Digitalisierung 2.0
Vortrag über KI in der VHS Essen – Spezial 10/24
Minimal bis crossmedial
Rekorde und Trends auf der Spiel Essen – Spezial 10/24
KI, eine monströse Muse
12. Kulturkonferenz Ruhr in Essen – Spezial 09/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24