Woanders tunen Jugendliche Mopeds. In Venedig sind es Boote. Bei illegalen Rennen donnern sie mit aufgemotzten Motoren mit bis zu 80 Sachen übers Wasser. Alles andere läuft sehr gemächlich. Im heißen Sommer hängen die Jungs mit Mädels ab, schwimmen, saufen, kiffen, knutschen. Yuri Ancaranis „Atlantide“ fokussiert sich anfangs auf Außenseiter Daniele, während die Kamera langsam durch Kanäle und Nebenschauplätze der Lagunenstadt fährt und stimmungsvolle Bilder einfängt. Dabei verzichtet er auf eine geradlinige Story und größtenteils auch auf Dialoge zu Gunsten hämmernder Techno-Beats. Im letzten Drittel, ein Perspektivwechsel. Um 45 Grad gedreht wirken Brückenuntergänge wie afrikanische Masken, alte Häuser wie surreale Landschaften und weit und breit ist in der sonst überfüllten Touristenstadt kein Mensch zu sehen.
Élise ist 26 und Ballerina in Paris. Bei einem Auftritt knutscht ihr Partner eine andere und sie verstaucht sich den Knöchel. Élise nimmt eine Auszeit in der Bretagne, wo gerade eine zeitgenössische Tanztruppe probt. Neue Horizonte eröffnen sich. Klingt profan. Doch Regisseur Cédric Klapisch („Der Wein und der Wind“) lässt in „Das Leben ein Tanz“ selbst Triviales nicht trivial wirken. Und anders als bei den meisten aktuellen Tanzdramen, umgarnen sich hier keine Teenies, sondern Endzwanziger. Klapisch serviert dies elegant, reif, romantisch und mit pointiertem Witz. Und da nächste Woche „Dancing Pina“ startet, in dem sich Ballett und Moderner Tanz vergleichbar inspiriert gegenüber stehen, seien beide Filme gleichermaßen ans Herz gelegt. Ein Doublefeature drängt sich geradezu auf.
1999 findet im Kosovo in dem Dorf Krusha e Madhe ein Massaker statt. Dreiviertel der Häuser werden zerstört, fast 250 Menschen getötet. Das Massaker hinterlässt 140 Witwen, denen gemäß Tradition ein häusliches Leben als Witwe bei den Schwiegereltern bevorsteht. Fahrije Hoti entschließt sich nach ein paar Jahren in Trauer und Verzweiflung, einen Führerschein zu machen, sich mit anderen Frauen zusammenzutun und eine landwirtschaftliche Genossenschaft zu gründen. „Hive“, das Debüt von Blerta Basholli, erzählt von dieser wahren Begebenheit in einer guten Balance aus schmerzendem Realismus und hoffnungsvoller Selbstermächtigung der Frauen, die entgegen den gesellschaftlichen Normen in einer weiblichen Solidargemeinschaft für ihr Recht auf Selbständigkeit kämpfen.
Außerdem neu in den Ruhr-Kinos: Yvonne Andräs und Eyal Davidovitchs völkerverständigende Doku „Die jungen Kadyas“, Judit Kalmárs and Céline Coste Carlisles Stadtportrait „Fado - Die Stimmen von Lissabon“, William Brent Bills Horror-Sequel „Orphan: First Kill“ und Teresa Hoerls Mädchen-Musiker-Romanze „Alle für Ella“.
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Der Tod sind wir
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Tödlicher Sturm im Wurmloch
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Vorläufige Utopien
Danny Dziuk & Verbündete im Dortmunder Subrosa – Musik 04/24
„Mehr Freude und mehr Liebe, was anderes hilft nicht“
Musikerin Dota über die Dichterin Mascha Kaléko und den Rechtsruck in der Gesellschaft – Interview 04/24
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Lauter träumen, leiser spielen
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Grenzen überwinden
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Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
Mackie im Rap-Gewand
„MC Messer“ am Theater Oberhausen – Tanz an der Ruhr 04/24
Weltweit für Menschenrechte
Teil 1: Lokale Initiativen – Amnesty International in Bochum
Sichtbarkeit vor und hinter der Leinwand
Das IFFF fordert Gleichberechtigung in der Filmbranche – Festival 04/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24