Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.560 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Ganz schön gruselig? Jörg Buttgereit am Grab des Serienkillers Ed Gein in den USA
Foto: Presse

„Er ist zu dem geworden, was er wollte“

31. Oktober 2013

Jörg Buttgereit über sein Stück „Der Elefantenmensch“ in Dortmund – Premiere 11/13

Alles beginnt auf einem Jahrmarkt: In einer Freakshow entdeckt der Londoner Arzt Dr. Treves den jungen John Merrick, der seinen Lebensunterhalt als sogenannter „Elefantenmensch“ verdient – begafft von Jung und Alt als unfassbare Laune der Natur. Dr. Treves‘ wissenschaftliches Interesse ist geweckt. Doch Begaffter und Begaffende – wer ist das Monster? David Bowie spielte den „Elephant Man“ am Broadway, und auch den amerikanischen Filmregisseur David Lynch interessierte der Stoff. Sein Film „Der Elefantenmensch“ (USA 1980) wurde zum Welterfolg und für 8 Oscars nominiert. Der reale Joseph Merrick konnte seinem Schicksal als Exponat der menschlichen Freakshow auch durch seinen Tod nicht entfliehen – sein Skelett ist noch heute in der pathologischen Sammlung des Royal London Hospital archiviert

trailer: Herr Buttgereit, David Bowie hat am Broadway „The Elephant Man“ gespielt, kann man das in Dortmund noch toppen?
Jörg Buttgereit:
Ich weiß nicht, ob das die Aufgabe vom Theater Dortmund ist, David Bowie nachzuahmen. Es ist aber schon merkwürdig, dass die Figur David Bowie immer so um mich herumgeistert, der ja auch hier um die Ecke in Berlin gewohnt hat. Im Vorderhaus, wo mir die Mandeln rausgenommen wurden, hat er im Hinterhaus mit Iggy Pop gehaust. Ich weiß auch nicht, was der Mann von mir will. Das ist außerdem keine Inspiration für mich, ich bin ja eher Filmmensch, insofern habe ich mir den Film von David Lynch noch mal ganz genau angesehen.

Und Ekkehard Freye ist ...?

Jörg Buttgereit
Jörg Buttgereit, geboren 1963, ist Regisseur und Autor von Theaterstücken und Arthouse-Horrorfilmen. Sein Film „Nekromantik“ (D 1987) wurde gerade in einem Hollywood-Offkino zum ersten Mal in den USA gezeigt. Er schreibt und inszeniert Hörspiele für den W

Der hat das große Los gezogen. Ich musste halt einen Darsteller wählen, bei dem ich dachte, der beschwert sich nicht oder ist besonders leidensfähig. Er hat das einfach so angenommen und ist auch schon in Kostümproben. Wenn man das überhaupt Kostüm nennen kann.

John Merrick starb überraschend am 11. April 1890 – gibt es da Raum für Verschwörungstheorien? Selbst der Spiegel hat jüngst darüber berichtet.
Stimmt. Weil das jetzt noch mal untersucht werden soll, weil es heute neue technische Möglichkeiten gibt und vielleicht herausgefunden werden kann, woran denn der Mann überhaupt gelitten hat. Denn die Experten sind sich da überhaupt nicht einig. In meinem Stück gibt es eine konkrete Lösung, die ich aber jetzt nicht verraten möchte. Aber ich weiß in meinem Stück, woran er stirbt. (lacht) Mir ist das nämlich klar, aber ich bin ein gnadenloser Romantiker, auch wenn man das nicht glauben will.

Also doch eine Art Verschwörungstheorie?
Es ist eher was Romantisches. Da werden keine Fakten auf den Tisch gelegt. Er ist zu dem geworden, was er wollte, er hat seine Mission beendet, mehr sag ich nicht.

Vom Massenmörder Edward T. Gein in „Kannibale und Liebe“ zu John Merrick – was unterscheidet die „Monster“?
Zunächst mal das äußerliche Erscheinungsbild. John Merrick sieht aus wie ein Monster, ist aber keines. Edward T. Gein sah nicht aus wie ein Monster, war es aber. Merrick ist also ein Spiegelbild von Gein – das fällt mir gerade so auf.

Brauchen solche Stoffe immer einen engen Theaterraum?
Nein, beim Elefantenmenschen sieht man ja, dass das auch im Film funktioniert hat, obwohl sich Lynch ja sehr auf alte Filme aus den 1930er Jahren bezogen hat. In seinem Film sieht Merrick wie aus einem klassischen Horrorfilm aus den 1930er Jahren aus. So hätte ihn Universal damals drehen können. Da gibt es schon wieder eine Verbindung zumindest zu meinem Edward Gein-Stück in Dortmund. Denn „Kannibale und Liebe“ war auch an diese alte Universal-Horrorfilm-Ästhetik angelehnt. Das Bühnenbild war schwarz-weiß. Lynch hat sich vielleicht auch den Stil von Tod Browning als Vorbild genommen. Ich werde auch versuchen, dieses Zirkusumfeld mit zu thematisieren. Dieses Schaustellertum, das ja auch schon in den alten „Freaks“ (USA, 1932) mit drinsteckt, hat natürlich viel mit Bühne und Präsentation zu tun. Die alten Horrorfilme der Universal sind ja fast abgefilmte Theaterstücke, auch „Dracula“ (USA, 1931)von Tod Browning, da ist nicht mal Musik drin. Insofern finde ich, dass sich der Stoff des „Elefantenmenschen“ schon sehr für die Bühne eignet. Letztlich ist es auch ein Theaterstück, das ich nicht selbst geschrieben habe. Die anderen Stücke für das Theater Dortmund habe ich ja immer selbst geschrieben.

„Green Frankenstein“ war sehr am Hörspiel orientiert, „Kannibale und Liebe“ war so eine Art Kammerspiel, und „Elephant Man“?
Für mich ist es erst einmal etwas einfacher, aber auch unsicherer, weil es nicht mein eigenes Stück ist. Ich mache die Sachen und merke dann, was dabei herauskommt. Ich entwickle immer ein Gefühl dafür, und dadurch, dass es jetzt ein Theaterstück ist, ist es eigentlich auch wieder ein Kammerspiel. Es ist sogar so, dass ich aus dem Original-Theaterstück eine Szene rausgenommen habe, weil die zu weit weg war, in einem anderen Land spielte. Die Dortmunder Studio-Bühne ist herrlich, weil man dort mit diesen 99 Plätzen so eine Intimität hat. Wir werden diese klassische Aufteilung von Bühne und Publikum auch ein bisschen aufbrechen, so dass dieses Mal sogar ein paar mehr Leute reinpassen. Ich denke mal, wir treffen uns dann nicht in einem Theaterraum, sondern auf einem Marktplatz, wo eine Freakshow stattfindet.

Sind die zeitgenössischen Freaks weniger geworden, oder werden sie nur besser „geschützt“?
Also ich glaube, diese Existenzen wie John Merrick gibt es ja heute nicht mehr, weil solche Geburten häufig unterbunden werden. Aber John Merrick hat sich ja erst später so entwickelt. Er ist ja noch „normal“ auf die Welt gekommen. Und diese Krankheit, an der er litt, – wenn man denn mal rausfindet, welche Krankheit es war – die scheint man heute unterdrücken zu können. Es gibt einen Film, der heißt „Being different“ (Can/USA 1981), eigentlich eine Dokumentation über Leute, die heute extrem entstellt sind. Da wird jemand gezeigt, der fast genauso aussah wie der Elefantenmensch, der aber diese klassische Elefantitis hatte. Es gibt diese Leute schon noch, aber sie sind in unseren Breiten sehr viel seltener geworden. Und die Leute werden auch nicht mehr so ausgestellt wie damals. Merrick ist ja nicht freiwillig in den Zirkus gegangen, sondern das war für ihn die einzige Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Aber Ed Geins wird es immer geben?
Ja, klar. Ich meine, Ed Gein war ja in den 1950er Jahren eine Figur, die zum ersten Mal den Horror nach Amerika gebracht hat. Vorher haben die sich immer im Ausland bedient, zum Beispiel in Europa. Dracula, Frankenstein, das sind ja alles europäische Monster. Aber Ed Gein ist ja mittlerweile so ein mythischer Prototyp des Serienkiller-Muttersöhnchens. So naiv, wie der damals war, ich glaube, so naiv sind Serienkiller heute nicht mehr. Das heißt natürlich nicht, dass es die „Monster von nebenan“ nicht mehr gibt.

„Der Elefantenmensch“ I Fr 29.11. 20 Uhr (Premiere) I Studio Dortmund I 0231 502 72 22

INTERVIEW: PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Arthur der Große

Lesen Sie dazu auch:

„Eine Sitcom auf LSD“
Matthias Heße inszeniert in Moers „Illuminatics“ – Premiere 04/19

„Ein Festival für Else Lasker-Schüler“
Der Wuppertaler Intendant Thomas Braus zur Spielzeit-Planung – Premiere 08/18

„Ich inszeniere als Komponist“
Ari Benjamin Meyers über „Changing of the Guard“ in Bochum – Premiere 06/18

„Zeitalter der kollektiven Empörungsblasen“
Der Dortmunder Intendant Kay Voges über sein neues altes Theater – Premiere 01/18

Viele Feuer und einige Fäkalien
Das Dortmunder Theater hat es geschafft: Premieren im alten Haus – Prolog 11/17

„Reaktionen sind das, wonach wir gieren“
Florian Fiedler ist der neue Intendant am Theater Oberhausen – Premiere 09/17

„Wir machen hier kein Katastrophenstück“
EGfKA mit „Anastrophe Now!“ im Mülheimer Ringlokschuppen – Premiere 07/17

Alles kann Kunst werden
Film und Gespräch zu „Beuys“ mit Andres Veiel im Essener Filmstudio – Foyer 05/17

„Irgendeine Ausrede finde ich immer“
Autor Philipp Löhle zu seinem „Schlaraffenland“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Premiere 04/17

„Das Stück handelt eher von uns selbst“
Jörg Buttgereit über „Die lebenden Toten oder: Monsters of Reality“ in Essen – Premiere 03/17

„Wenn der natürliche Kreislauf unterbrochen ist“
Ulrich Greb urinszeniert in MoersMichael Crowleys „The Dead Inc. – Die Toten GmbH“ – Premiere 02/17

„Ein Leichtes, mit dem Finger auf alle zu zeigen“
Daniel Kunze inszeniert Elfriede Jelineks „Kein Licht“ – Premiere 12/16

Premiere.

Hier erscheint die Aufforderung!