Mein Haus, mein Auto, mein Vorgarten. Madame in der Wanne, mit Blick auf den Pool. Die Familie: andächtig der töchterlichen Cheerleader-Performance im heimischen Wohnzimmer beiwohnend. Dad mit schlafendem Babyboy auf dem Bauch oder die junge Lady bei der Selbstverwirklichung im heimischen Akt-Malstudio. Perfekte Inszenierungen der eigenen Häuslichkeit. So sehen sie also aus, die „Suburban Dreams“ (Kehrer, 96 S., 30€). Alles individuell arrangiert, eingerichtet, aufgeräumt und sortiert, abgestimmt und maßgeschneidert auf seine stolzen Besitzer. Nur hin und wieder durchbricht ein missmutiger Seitenblick der Ma auf ihre Tochter oder ein chaotisches Jugendzimmer das anheimelnde Vorstadtidyll. Aber nichts, was die Verwirklichung des kleinen privaten Traums gefährden könnte. Und doch sind es genau diese leisen Dissonanzen, nach denen man unweigerlich in Beth Yarnell Edwards' fotografischer Sammlung trauten Glücks fahndet. Wo ist der Riss in der Fassade, wo bröckelt ein wenig Putz, wo keimt der erste Funken Wahnsinn, der die in ihren kleinen Paradiesen schwelgenden Gutbürger in sich gegenseitig zerfleischende Vorstadtkrokodile verwandelt?
Wann erlischen „Die Lichter von Bullet Park“ (Dumont, 256 S., 19,99€), wann implodieren sie mit großem Getöse? Alles nur eine Frage der Zeit, bis das (schein)heilige Gebäude in sich zusammenbricht. John Cheever macht da erst gar kein großes Federlesen: Hier die Hammers, deren unterschwellig brodelnder Konflikt im neu bezogenen Elysium erst richtig Feuer fängt. Dort die Nailles, die die Depression ihres Sohnes nur als schrecklich unverdienten Irrtum des Schicksals zu begreifen vermögen. Nomen est Omen treibt der Bitterböseste unter den amerikanischen Vorstadtchronisten den stählernen Dorn weiter und weiter in die trügerische Glückseligkeit dieses Garten Eden.
Ein grausam-geniales Spiel, das Louise Erdrich in eine vermeintlich reflektierte Künstlerehe verlegt. In einem wahren Strudel aus Sehnsucht und Leidenschaft dreht sich das Paar, ein jeder auf immer und ewig in sich selbst gefangen, schneller und schneller um sich selbst: Während Gil seine Gefühle und Stimmungen verzweifelt versucht auf die Leinwand zu bannen, treibt Irene ihren Mann – und sich selbst – mit immer perfideren Einträgen im gefälschten Tagebuch in ein Martyrium, bei dem sie ihre ganze Familie verzehren. Ein egomaner Wahnwitz namens „Schattenfangen“ (Suhrkamp, 239 S., 17,90€), bei dem nun wirklich keiner gewinnen kann.
Doch selbst wenn der Mensch schon »Nackt« danieder liegt, weigert er sich immer noch 'standhaft' das irdische Dilemma anzuerkennen. Die Menschen können selbst bei aller Liebe nicht miteinander verschmelzen. Vielmehr sind es die Normen und Konventionen, die uns einander ähnlich machen, mit denen wir uns in verzweifelter Leidenschaft aneinander binden und unser anarchistisches Ich ausblenden. Von Story zu Story tritt dieses Schicksal in der Sammlung bisher unveröffentlichter Erzählungen von Joyce Carol Oates zutage. So schonungslos wie beiläufig: „Die Lästigen“ (Eichborn, 384 S., 32€) sind die in uns schlummernden Ichs, die unsere mühsam errungene Eintracht beständig torpedieren.
Eine Erkenntnis, die „Die Party bei den Jacks“ (Manesse, 352 S., 24,95€) auf grandiose Weise eskalieren lässt. Unfassbar, wie Thomas Wolfe in seinem erst im Nachlass entdeckten Meisterwerk sich über seitenlangen und dennoch nie ermüdenden Detailzeichnungen seinen Protagonisten nähert, vom Äußersten ins Innerste vordringt, um am Abend vor dem großen Börsencrash das Gebäude aus gesellschaftlichen Konventionen und Errungenschaften mit feiner Ironie in Flammen aufgehen zu lassen.
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