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Tolle Filme, schlechter Mensch, oder wie? fragt sich: Lisa Mertens

Die geplatzte Traumfabrik Film

26. Oktober 2017

Sexuelle Belästigung ist eine Straftat. Punkt. – Vorspann 11/17

True Romance, Der Englische Patient, Good Will Hunting, Herr der Ringe, Gangs of New York, Sin City, Der Vorleser, Der Butler, Mandela, Macbeth und natürlich alle Tarantino-Filme – tolle Filme, die ich gerne geschaut habe. Und natürlich bleiben sie auch tolle Filme, auch wenn sie eines gemeinsam haben, nämlich dass ihr Produzent bzw. Executive Producer Harvey Weinstein ist. Dass er bei einem Film mitgemischt hat, war bislang für mich ein Qualitätsurteil. Und nun sind es Filme, die zum Teil auf sexueller Belästigung aufbauen?

Am 5. Oktober berichteten Journalistinnen der New York Times, dass Harvey Weinstein in den letzten 30 Jahren immer wieder Frauen sexuell belästigt hatte und an bestimmte Mitarbeiterinnen Ausgleichszahlungen tätigte. Am 10. Oktober folgte The New Yorker mit weiteren Enthüllungen. In den Tagen darauf zeigte sich, dass die Belästigungen Weinsteins auf einem komplexen System ruhten. Die Industrie um Weinstein herum, bestehend aus Assistenten, Produzenten, Regisseuren, Publizisten und Juristen, deckte sein frauenverachtendes Verhalten oder wollte es bewusst nicht wahrhaben.

Immer wieder gab es in der Vergangenheit Vorwürfe gegen namhafte Filmschaffende wegen sexueller Belästigung und sexuellen Missbrauchs. Klaus Kinski, Roman Polanski, Woody Allen, Bill Cosby, Casey Affleck. Auch wenn in einigen Fällen das Ausmaß noch nicht ganz klar herausgearbeitet ist, stellt sich die Frage, warum wir uns häufig so schwer damit tun, den Frauen zu glauben, die diese Anschuldigungen erheben. Klar, auf der einen Seite wollen wir nicht wahrhaben, dass unsere Helden der Filmindustrie, die doch der Grund sind, warum wir liebend gerne ins Kino gehen, Dinge tun, die nicht nur zu verachten, sondern auch zu bestrafen sind. Auf der anderen Seite aber ist der allgemein formulierte Zweifel an der Schuld der Täter der ganz „normale“ Mechanismus, der in solchen Fällen losgetreten wird. „Viele Frauen wollen sich halt hochschlafen“, „sie hätte doch dann viel früher schon was sagen müssen“, „sie hat nicht richtig Nein gesagt“, „die wollen jetzt einfach nur die Kohle“, „manche Frauen sind aber auch empfindlich“, …  – so die gängigen Sprüche, die sowohl von Prominenten als auch in den Kommentarspalten des WWW zu lesen sind.

Mal im Ernst: Ist es so schwierig zu begreifen, dass sexuelle Belästigung mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert leider noch nicht abgehakt ist? Einerseits wird es – glücklicherweise – stärker thematisiert und immer mehr auch scharf verurteilt. Andererseits ist es angesichts sowohl des genannten komplexen Systems wie auch genannter Kommentare, die exemplarisch für den Wunsch nach Erhaltung überholter Machtstrukturen stehen, noch ein weiter Weg, bis bei allen Menschen sexuelle Belästigung wirklich als Straftat angesehen wird. Sowohl hier unter uns „Normalen“ als auch in der Filmbranche allgemein und in der Traumfabrik Hollywood insbesondere.

Heißt das nun für uns, dass wir die Werke der Filmschaffenden, die sich sexueller Belästigung schuldig gemacht haben, boykottierten sollten? Steht das künstlerische Werk nun im Vordergrund oder der schuldige Filmschaffende? Dies muss jede und jeder moralisch für sich entscheiden. Eine einzig richtige Lösung gibt es dabei nicht. Die Verurteilung sexueller Belästigung und der Belästiger jedoch ist die einzig richtige Lösung. Das muss auch in der schönen Welt des Kinos eingefordert werden.

Lisa Mertens

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