Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
21 22 23 24 25 26 27
28 29 30 31 1 2 3

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

Tolle Filme, schlechter Mensch, oder wie? fragt sich: Lisa Mertens

Die geplatzte Traumfabrik Film

26. Oktober 2017

Sexuelle Belästigung ist eine Straftat. Punkt. – Vorspann 11/17

True Romance, Der Englische Patient, Good Will Hunting, Herr der Ringe, Gangs of New York, Sin City, Der Vorleser, Der Butler, Mandela, Macbeth und natürlich alle Tarantino-Filme – tolle Filme, die ich gerne geschaut habe. Und natürlich bleiben sie auch tolle Filme, auch wenn sie eines gemeinsam haben, nämlich dass ihr Produzent bzw. Executive Producer Harvey Weinstein ist. Dass er bei einem Film mitgemischt hat, war bislang für mich ein Qualitätsurteil. Und nun sind es Filme, die zum Teil auf sexueller Belästigung aufbauen?

Am 5. Oktober berichteten Journalistinnen der New York Times, dass Harvey Weinstein in den letzten 30 Jahren immer wieder Frauen sexuell belästigt hatte und an bestimmte Mitarbeiterinnen Ausgleichszahlungen tätigte. Am 10. Oktober folgte The New Yorker mit weiteren Enthüllungen. In den Tagen darauf zeigte sich, dass die Belästigungen Weinsteins auf einem komplexen System ruhten. Die Industrie um Weinstein herum, bestehend aus Assistenten, Produzenten, Regisseuren, Publizisten und Juristen, deckte sein frauenverachtendes Verhalten oder wollte es bewusst nicht wahrhaben.

Immer wieder gab es in der Vergangenheit Vorwürfe gegen namhafte Filmschaffende wegen sexueller Belästigung und sexuellen Missbrauchs. Klaus Kinski, Roman Polanski, Woody Allen, Bill Cosby, Casey Affleck. Auch wenn in einigen Fällen das Ausmaß noch nicht ganz klar herausgearbeitet ist, stellt sich die Frage, warum wir uns häufig so schwer damit tun, den Frauen zu glauben, die diese Anschuldigungen erheben. Klar, auf der einen Seite wollen wir nicht wahrhaben, dass unsere Helden der Filmindustrie, die doch der Grund sind, warum wir liebend gerne ins Kino gehen, Dinge tun, die nicht nur zu verachten, sondern auch zu bestrafen sind. Auf der anderen Seite aber ist der allgemein formulierte Zweifel an der Schuld der Täter der ganz „normale“ Mechanismus, der in solchen Fällen losgetreten wird. „Viele Frauen wollen sich halt hochschlafen“, „sie hätte doch dann viel früher schon was sagen müssen“, „sie hat nicht richtig Nein gesagt“, „die wollen jetzt einfach nur die Kohle“, „manche Frauen sind aber auch empfindlich“, …  – so die gängigen Sprüche, die sowohl von Prominenten als auch in den Kommentarspalten des WWW zu lesen sind.

Mal im Ernst: Ist es so schwierig zu begreifen, dass sexuelle Belästigung mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert leider noch nicht abgehakt ist? Einerseits wird es – glücklicherweise – stärker thematisiert und immer mehr auch scharf verurteilt. Andererseits ist es angesichts sowohl des genannten komplexen Systems wie auch genannter Kommentare, die exemplarisch für den Wunsch nach Erhaltung überholter Machtstrukturen stehen, noch ein weiter Weg, bis bei allen Menschen sexuelle Belästigung wirklich als Straftat angesehen wird. Sowohl hier unter uns „Normalen“ als auch in der Filmbranche allgemein und in der Traumfabrik Hollywood insbesondere.

Heißt das nun für uns, dass wir die Werke der Filmschaffenden, die sich sexueller Belästigung schuldig gemacht haben, boykottierten sollten? Steht das künstlerische Werk nun im Vordergrund oder der schuldige Filmschaffende? Dies muss jede und jeder moralisch für sich entscheiden. Eine einzig richtige Lösung gibt es dabei nicht. Die Verurteilung sexueller Belästigung und der Belästiger jedoch ist die einzig richtige Lösung. Das muss auch in der schönen Welt des Kinos eingefordert werden.

Lisa Mertens

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Neue Kinofilme

Die Schlümpfe – Der große Kinofilm

Lesen Sie dazu auch:

Kinofest-Test
Lünen als Versuchslabor für die Kinozukunft – Vorspann 07/25

Mikrodramen vs. Spielfilm
Was können Kinos gegen die Schnipselflut tun? – Vorspann 06/25

Amazon-Bond & beyond
007 ist zum Streaming-Start freigegeben – Vorspann 03/25

Aus unterschiedlichen Galaxien
Im Februar starten Biopics über Bob Dylan und Maria Callas – Vorspann 02/25

Zwischen Helden- und Glückssuche
Die Kinotrends des Jahres – Vorspann 01/25

Besuchen Sie Europa
Die Studie Made in Europe und ihre Folgen – Vorspann 12/24

Filmfestivalmonat November
Mit der Duisburger Filmwoche, Doxs! und dem Blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets – Vorspann 11/24

Reise in die Seele des Kinos
Die Ausstellung „Glückauf – Film ab“ in Essen – Vorspann 10/24

Programmkollaps
Vergraulen immer komplexere Kinoprogramme das Publikum? – Vorspann 09/24

Zurück zum Film
Open-Air-Kinos von Duisburg bis Dortmund – Vorspann 08/24

„Poor Things“, reiches Cannes
Eine Bilanz der ersten sechs Kinomonate – Vorspann 07/24

Ewige Stadt, ewiges Kino
In Rom werden aus alten verlassenen Kinos wieder Kinos – Vorspann 06/24

Film.