Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Befreit durch einen Mord: Annemarie Kremer als Salome
Foto: Martin Kaufhold

Der Fanatiker sitzt im Keller ein

30. Mai 2018

Mariame Clément inszeniert „Salome“ in Essen – Oper in NRW 06/18

Nur noch müde lächelt das Publikum heute über vieles, das vor 30, 40 Jahren auf der Bühne noch als echte Provokation durchging. Die einst gebrochenen Tabus von Sex und Gewalt gibt es so schlicht nicht mehr. Richard Straussens Oper „Salome“ ist schon über 112 Jahre alt, und die Provokation hat kein bisschen an Sprengkraft verloren. Da hält die Titelfigur auf dem Höhepunkt des Stücks Zwiesprache mit einem abgeschlagenen Kopf, den sie sich auf einem Silbertablett hat servieren lassen – und küsst ihn dann auch noch auf den Mund. Das ist wirklich krank – und immer noch schockierend. Wie durch und durch pervers die pseudo-biblische Geschichte ist, zeigt  Mariame Clément in ihrer Inszenierung am Essener Aalto-Theater.

Mit ihrem Interpretationsansatz ist die Französin keine Vorreiterin mehr: Ihre Sichtweise der jungen Salome als Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Stiefvater Herodes gilt mittlerweile als Konsens und ist auch mehr als naheliegend. Cléments besonderer Dreh ist die konsequente Einnahme der Perspektive Salomes. Für schwüle Altherrenfantasien, wie sie vor allem der bekannte „Tanz der sieben Schleier“ verkörpert, bleibt da kein Platz mehr. Der Tanz in Essen mit Maske und Tüllrock gerät zur Pantomime einer erlittenen Vergewaltigung. Salome ist ein gequälter Teenager, der sich die Arme ritzt – und keine raffinierte Femme fatale.

Um das alles klar über die Rampe zu bringen, bedient sich die Regie einiger Videoeinspieler, die auch das Bühnenbild von Julia Hansen motivieren: Zu sehen ist zuerst eine noch sehr kleine Salome, die zum Geburtstag von Mutter (Marie-Helen Joël mit leicht giftiger Attitüde) und Stiefvater ein großes Paket mit einem Tüllrock erhält. Nach kurzer Überblendung ist Salome an ihrem 18. Geburtstag zu sehen. Wieder gibt es ein großes Paket, doch sie will es nicht haben. Im Folgenden wird der Zuschauer Zeuge dieses Geburtstags in einem Zimmer voller leerer Schachteln.

Annemarie Kremer wirkt als Salome tatsächlich noch sehr jugendlich, klingt aber keineswegs niedlich. Die hitzigen Abgründe, die sie stimmlich in ihrer Schlussszene auftut, sind beeindruckend. Rainer Maria Röhr verkörpert als Herodes einen mächtigen Geschäftsmann mit viel Geld und eigenem Wachdienst, aber ohne Klasse. Im Keller halten die Securities den Fanatiker Jochanaan (charismatisch: Almas Svilpa) gefangen. Ein Verbrecher ist Herodes in jedem Fall. Am sexuellen Missbrauch seiner Stieftochter Salome lässt die eindringlich bedrückende Inszenierung keinen Zweifel.

GMD Tomáš Netopil beweist einmal mehr, wie virtuos seine Philharmoniker das Strausssche Gefüge paralleler Tonarten und seine „Nervenkontrapunktik“ beherrschen. Eine Produktion, in der Musik und Inszenierung perfekt ineinander greifen.

„Salome“ | R: Mariame Clément | Fr 8.6. 18.30 Uhr, So 1.7. 18 Uhr | Aalto-Theater Essen | www.theater-essen.de/oper/

Karsten Mark

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Back to Black

Lesen Sie dazu auch:

Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24

Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24

Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24

Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24

Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24

Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24

Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23

„Ein Erlebnis, in das man eintauchen muss“
Vitali Alekseenok wird Chefdirigent der Deutschen Oper am Rhein – Interview 12/23

Ein Schluck auf die Liebe
„Der Liebestrank“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/23

Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23

Lynchmord in New Orleans
Uraufführung von „The Strangers“ an der Oper Köln – Oper in NRW 09/23

Gebremster Senkrechtstart
Erste Premiere am Aalto-Theater Essen: Giuseppe Verdis „Macbeth“ – Oper 09/23

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!