Schier endlose, geradezu sinnbefreite Diskussionen. Über Quarter Pounder mit Käse und das metrische System, Fußmassagen, Milchshakes für 5 Dollar. Legendäre Szenen, in denen Uma Thurman mit John Travolta zu Chuck Berrys „C‘est la Vie“ twistet oder eine Leiche im Haus zu einer heiklen „Bonnie-Situation“ wird. 20 Jahre ist es nun her, dass Quentin Tarantino Gäste und Jury in Cannes mit „Pulp Fiction“ begeisterte und dafür gleich die Goldene Palme absahnte. Doch in diesem Jahr platzte er zum Jubiläum des Films beim Festival in Cannes mit seiner niederschmetternden Meinung zum Kino heraus: „Was ich als Kino kannte, ist tot.“ Dass mittlerweile kaum noch ein Kino 35mm projiziere, ja auch die meisten Filme digital gedreht werden, ist für den Freund des analogen, haptischen Filmmaterials der Untergang des Kinos. Kino sei nun nicht mehr als eine öffentliche Fernsehausstrahlung. Tarantino, der in „Inglourious Basterds“ alle Nazi-Schergen und sogar Hitler mit dem damals noch sehr explosiven Zelluloid in die Luft sprengte, hält weiter an dem klassischen Material fest. Und damit steht er nicht alleine da. Auch J.J. Abrams und Christopher Nolan weigern sich, digital zu drehen. Nun haben genannte Regisseure sich entschlossen, auf die Filmstudios einzuwirken, dass sie einen Deal mit Kodak, dem letzten Produzenten der Filmrollen, eingehen und so das wertvolle Material vor der Versenkung bewahren.
Eine nicht zu unterschätzende Fangemeinde des analogen Films wird dies erfreut vernommen haben. Ein analoger Film unterscheidet sich nun einmal von seinem digitalen Bruder, z.B. in puncto Farbwiedergabe und Körnung. Besonders aber die Anfälligkeit und die Vergänglichkeit des Zelluloids machen seinen Reiz aus. Streifen und Bilder nach zahlreichen Vorführungen erzählen die Geschichte des Materials und bewirken unter anderem das, was Tarantino die Magie des Kinos nennt. Doch nicht zuletzt in der Anfälligkeit des Materials liegt die Crux der ganzen Angelegenheit. Die Archivierung der 35mm-Rollen gestaltet sich schwierig und vor allem teuer. Ist da nicht die Digitalisierung ein willkommenes Geschenk? Einfach, raumsparend und günstig? Wahrscheinlich, wird auch der letzte Nostalgiker zugeben müssen, nicht ohne dabei einzuwerfen, dass bei der Digitalisierung des Archivmaterials eine Auswahl getroffen wird, der ein Stück Filmgeschichte vermutlich zum Opfer fallen wird.
Nützt denn der Erhalt des Zelluloids überhaupt den Kinos? Mittlerweile haben sich alle Kinos in NRW auf die digitalen Formate eingestellt, mit oder ohne Fördermittel. Einige besitzen nicht einmal mehr die notwendigen Projektoren für analogen Film. Martin Koerber, Leiter des Filmarchivs der Stiftung Deutsche Kinemathek gab jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandradio zu bedenken, dass auch Filme, die noch auf Rolle gedreht werden, letztendlich über den Produktionsweg dann doch in digitaler Form in den Kinosälen laufen. Auch Filme von Tarantino.
Die nun schon seit Jahren geführte Diskussion analog vs. digital scheint noch immer nicht zu einem Schluss zu gelangen. Es ist dabei mehr als das Aufeinandertreffen von Nostalgie und Fortschritt, von Romantikern und Pragmatikern. Beide Seiten haben – ganz diplomatisch gesehen – ihre Berechtigung. Kino muss sein Gut bewahren, muss sich jedoch auch bewusst auf die veränderte Produktionswirtschaft einlassen. „C'est la vie... it goes to show you never can tell.“
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