Wer Horn spielt, übernimmt Verantwortung. Jedes Konzert ist wie der Ritt über dünnes Eis. Denn in den Windungen selbst neuester Instrumente sammelt sich die Feuchtigkeit und provoziert im Supergau-Moment den berüchtigten Kiekser – der entgeht selbst dem Musiklaien nicht.
Tung-Chieh Chuang, in zweiter Spielzeit Generalmusikdirektor Bochums, Intendant des Anneliese Brost Musikforum Ruhr und Erbe der Erfolgsära Steven Sloane, hat früh mit dem Horn-Spiel begonnen. Nervenstärke ist die Grundnahrung dieser Ausbildung. Schon vor seinem Dienstantritt fiel der in Philadelphia und Weimar ausgebildete Dirigent auf. Er trat mit dem australisch-taiwanesischen Stargeiger Ray Chen an. Dieser strich seine Stradivari „Joachim“ aus voller Seele und mit höchster Brillanz. Beeindruckend assistierte Tung-Chieh Chuang, der jedem Bogendruck des Solisten folgte und sensibel das WDR-Sinfonieorchester in diese unvertraute Ton- bzw. Gefühlswelt im chinesischen Hit-Violinkonzert „The Butterfly Lovers“ lenkte.
„Von Herzen“ heißt eine aktuelle Konzertreihe, die der taiwanesische Dirigent mit hervorragenden Solisten plante und interessante Persönlichkeiten wie Herbert Schuck am Klavier oder den Wundergeiger Augustin Hadelich präsentierte. Dabei pflegt er ganz nebenbei einen Brahms-Schwerpunkt (zum 125. Todestag), lotet durch stets wechselnde Orchesteraufstellungen die akustischen Möglichkeiten des relativ neuen Saals weiter aus und bindet meist einen exotischen Leckerbissen in das Programm ein. Im Januar erklingt als europäische Erstaufführung das Stück „Ascolsia“ der taiwanesischen Komponistin Chia-Ying Lin – eine flirrende, angriffslustige, farbig erzählende Tondichtung mit Beckenzischen, rollendem Paukengewitter und viel Tamtam. Dazu streicht die Geigerin Alexandra Conunova das Violinkonzert von Jean Sibelius, es folgt die Dritte von Brahms.
Sensationellen Service für das Publikum bietet die Konzerteinführung jeweils eine Stunde vor dem Konzertbeginn. Denn hier plaudert der Chefdirigent persönlich über das Programm und spielt am Klavier schon einmal erhellende Kostproben aus den Werken. Und wer könnte mehr und lebendiger berichten als die Person, die kurz darauf den Dirigentenstab führt und sich in den Probewochen mit den Stücken beschäftigt hat. In dieser direkten Tuchfühlung gewinnen die Hörer einen beinahe privaten Eindruck – vom einst sagenhaft unnahbaren Maestro.
Von Herzen – Adieu, mein Schatz! | 14.1. 20 Uhr & 15.1. 16 Uhr | Anneliese Brost Musikforum Ruhr, Bochum | 0234 910 86 22
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Mythologie und Musik
Sinfoniekonzert in der Konzertaula
Gefangenenchor pur
„Prisoner of the State“ im Musikforum Ruhr – Klassik an der Ruhr 05/23
Das ganze Leben ist ein Spiel
zamus: early music festival in Köln – Klassik am Rhein 05/23
Blut und Tränen
„Lessons in Love and Violence“ in NRW – Klassik an der Ruhr 04/23
Mann ohne Arg
„Les Béatitudes“ in der Bonner Kreuzkirche – Klassik am Rhein 04/23
Aus grellem Sonnenlicht
Sarah Aristidou in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/23
Meister der Nuancen
Shao-Chia Lü in Krefeld und Mönchengladbach – Klassik an der Ruhr 03/23
Zu Ehren einer Meisterin
Sofia Gubaidulina im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 02/23
Kunst und Leben des Michael Biel
„Abschied von der neuen Musik?“ in Köln – Klassik am Rhein 02/23
Alter Hase von jungen Jahren
Jan Lisiecki besucht die Rheinmetropolen – Klassik am Rhein 01/23
Abschied von Ludwig Güttler
„Sächsischer Bläserglanz zur Weihnachtszeit“ in NRW – Klassik an der Ruhr 12/22
Zartes Orchester-Pflänzchen
„Ensemble Diderot“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/22
Seele des Kölner Doms
„Geistliche Musik am Dreikönigenschrein“ – Klassik am Rhein 11/22
Bitte keinen Applaus
Annette Dasch und das Fauré-Quartett in Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 11/22