Faul sollen sie sein, korrupt und verschwendungssüchtig. Seit Monaten betreiben die Medien ein Griechen-Bashing, das auf einer kruden Mischung aus halbgaren Informationen und rassistischen Stereotypen basiert. Dass Fakten und genaue Analysen weitaus angebrachter wären als einseitige Schuldzuweisungen, gibt Günter Leußler, Geschäftsführer der „Vereinigungen der deutsch-griechischen Gesellschaften“ (VDGG) zu bedenken: „Klar gibt es grundlegende Dinge, die Griechenland ändern muss“, sagt der Bauingenieur, der zunächst lange Jahre Vorsitzender der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Mülheim war, bevor er in den Bundesvorstand der VDGG gewählt wurde. „Ein großes Problem in Griechenland ist der Klientelismus. Allzu viele Menschen wurden in den Öffentlichen Dienst eingestellt, um versorgt zu sein. Jeder vierte Arbeitnehmer ist im Öffentlichen Dienst. Kurzfristige Entlassungen helfen allerdings nicht, weil Abfindungen gezahlt werden müssen“, resümiert er. „Aber es gibt auch Ursachen der Krise, die nicht den Griechen anzulasten sind. Zum Beispiel, dass bei der Einführung des Euro die Stabilitätskriterien nicht klar definiert wurden.
Die Durchschnittsrente liegt bei 600 Euro, in der Landwirtschaft sogar nur bei 400 Euro
Grundsätzlich braucht eine gemeinsame Währung eine viel breitere gemeinsame Wirtschaftspolitik, damit das Niveau nicht zu sehr auseinandergeht“, gibt der aktive Ehrenamtler zu bedenken. Zudem seien die Spekulationen auf die griechischen Staatsanleihen eine Ursache des Problems. Und wer über die Renten in Griechenland spreche, wisse oft nicht einmal, dass die Durchschnittsrente dort bei 600 Euro liege, im landwirtschaftlichen Bereich sogar nur bei 400 Euro. „Und das bei Lebenshaltungskosten, die ebenso hoch liegen wie bei uns.“ Seit er 1972 das erste Mal in das Land im Südosten Europas kam, hat es ihn nicht mehr losgelassen: „Zwei Jahre später machte ich acht Wochen Inselhüpfen und lernte die außergewöhnliche Gastfreundschaft schätzen.“ Persönliche Freundschaften, die Liebe zur Sprache, zur Küche und zum Tanz verbanden ihn schnell sehr innig mit dem Land, das er bei vielen Reisen sehr gut kennenlernte. Dass das Griechen-Bashing Menschen verletze, natürlich sei das so, erzählt Leußler, aber darüber will er eigentlich gar nicht sprechen. Viel wichtiger ist es ihm, zu vermitteln, was in Griechenland geschieht: „Ein Problem ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Da verwundert es nicht, wenn man ständig Bilder von Demonstrationen sieht.“ Richtig stellen, erklären, argumentieren und aufklären über die reale Lage, das versuchen er und viele andere Mitglieder der VDGG derzeit, in Leserbriefen, Interviews und wo immer es geht: „Wir versuchen gegenzusteuern, den Thesen Fakten gegenüberzustellen“, erklärt er. Gegen den Strom der Massenblätter ist das nicht viel, aber doch alles, was sie tun können. Sisyphos war bekanntlich auch ein Grieche.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Euro oder Ruhrtaler?
Die Krise der Gemeinschaftswährung hat auch etwas mit uns zu tun – THEMA 11/11 DER EURO
„Es wird am Euro gezündelt“
Sven Giegold über die Währungskrise in Europa – Thema 11/11 Der Euro
„Die Zukunft liegt im Euro“
Christof Lützel über Euro- und Bankenkrise aus Bochumer Sicht – Thema 11/11 Der Euro
Das Online-Hellas
Dimitrios Zachos betreibt eine Internetplattform für Griechen in Bochum – Thema 11/11 Der Euro
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert
An den wahren Problemen vorbei
Teil 1: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
„Das Gefühl, Berichterstattung habe mit dem Alltag wenig zu tun“
Teil 1: Interview – Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing über Haltung und Objektivität im Journalismus
Von lokal bis viral
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Teuer errungen
Teil 2: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 2: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Aus den Regionen
Teil 2: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
Journalismus im Teufelskreis
Teil 3: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
„Nicht das Verteilen von Papier, sondern Journalismus fördern“
Teil 3: Interview – Der Geschäftsführer des DJV-NRW über die wirtschaftliche Krise des Journalismus
Pakt mit dem Fakt
Teil 3: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal
Nicht mit Rechten reden
Der „cordon sanitaire médiatique“ gibt rechten Parteien keine Bühne – Europa-Vorbild Wallonien
Der Vogelschiss der Stammesgeschichte
Wenn Menschenrechte gleich Lügenpresse sind – Glosse
Ich, Menschenfeind
Intro – Rechtsabbieger
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 1: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 1: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD
Antifaschismus für alle
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 2: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Faschismus ist nicht normal
Teil 3: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 3: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte