Die Stadt braucht das Kino. Das Dorf wahrscheinlich auch. Wenn Sie in den letzten Wochen zum ersten Mal wieder länger durch eine Fußgängerzone gelaufen sind, konnten Sie womöglich eine zweistellige Zahl leerer Läden finden. Händler mussten während der Corona-Wellen aufgeben, alteingesessene Geschäfte und auch Kneipen oder Restaurants sind vom ohnehin schon teuren Mietboden verschwunden.
Was bedeutet das für die Kinos? Sie müssen noch vehementer denn je ihren Treffpunkt-Charakter betonen, bei dem es längst nicht mehr nur um brandneue Filme, Arthouse-Hits oder Blockbuster geht. Es geht mittlerweile auch darum, Räume zu schaffen, an denen besondere Inhalte unkommentiert und ununterbrochen und mit Engagement bestmöglich dargeboten werden, um gleich mehrere Menschen, die sich zu einer festen Uhrzeit eben nicht im Trainingsanzug via Zoom oder Microsoft Teams treffen, ganz real und live zu begeistern.
Bereits vor der Corona-Pandemie waren die Kinos, eher unbewusst und ohne dies groß unter den Scheffel zu stellen, die letzten Leuchttürme in den Innenstädten. Wer einmal an einem Donnerstagabend um 21 Uhr durch Köln oder Dortmund spaziert ist, weiß, dass es dort schon 2019 aussah wie zu Zeiten eines Ausgangsverbots. Niemand unterwegs. Nur in den Kinos und Theatern brannte noch Licht. Die nun startenden, längst überfälligen Diskussionen um eine Neuordnung der Innenstädte darf ruhig bei denen andocken, die seit Jahren und Jahrzehnten, allen Multiplex-Wiesen-Aufbauten zum Trotz, weiter in der Stadt geblieben sind.
Auch in puncto Nachhaltigkeit und Gesundheit ist das Kino unschlagbar. Erstmal verbraucht ein einzelnes Screening in einem Kinosaal für 40 oder 50 Menschen weit weniger Energie als wenn dieselben Menschen den Film zu Hause auf ihrem Fernseher oder PC im hell erleuchteten Wohnzimmer angucken würden. Zweitens kann nur das Kino einen Film so stark ins Bewusstsein einer breiten Bevölkerung rücken, dass er auch Jahre später noch bekannt ist – und nicht umgehend wieder neu gedreht werden muss oder ähnliches.
Für die junge Generation geht es im Kino um Bildung und Subversion gleichermaßen. Denn einerseits sollten die Kinos klipp- und klarmachen, wer die Vorläufer der Streaming-Dienste waren – und dass ein guter Film eben doch zeitlos ist. Andererseits müssen die Kinos auch die jetzigen Produzenten in die Pflicht nehmen, um Inhalte und Geschichten zu liefern, die Teenagern ermöglichen, sich außerhalb ihrer Handy-Zonen oder der heimischen Bildschirmecken über Autoritäten und auch das, was von den Erwachsenen als „Ernst des Lebens“ verkauft wird, lustig zu machen. Das Kino schützt dabei, das werden Ihnen Jugendforscher, Kritiker und Augenärzte gerne gemeinsam bestätigen, in doppelter Hinsicht vor Kurzsichtigkeit.
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