Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Freizeiteinrichtungen
Foto: Jan Schliecker

Wir Kultur-Protestanten

10. Dezember 2020

Warum die Schließung von „Freizeiteinrichtungen“ unchristlich ist – Theater in NRW 12/20

Kulturinfarkt – so lautete 2012 der Titel eines Buches eines Autorenquartetts, in dem die staatliche Subventionspraxis in Frage gestellt wurde. Ohne Ironie kann man derzeit feststellen, dass dieser Infarkt eingetreten ist – allerdings mit umgekehrtem Effekt. Während die Kulturinstitutionen immer wieder außer Gefecht gesetzt werden, steigt die kompensierende finanzielle Unterstützung. Was da allerdings in Gestalt Theater, Kinos, Museen und Konzerten von der Bundesregierung unterstützt wird, sind angeblich „Freizeiteinrichtungen“. Darin manifestiert sich zum einen ein scheinbar protestantischer Blick mit einer Scheidung dessen, was notwendig und was verzichtbar sei. Freizeiteinrichtungen gelten als nicht lebenswichtig. Zum anderen müssen Theater, Kino und Museum für einen symbolischen Akt der Entschlusskraft herhalten, der signalisiert, dass hier die verantwortungsvollen Kümmerer am Werk sind. Der Schauspieler Matthias Brandt hat das kürzlich sarkastisch als wohltuende Entlastung bezeichnet: Endlich wisse man, woran man sei.

Die Formulierung der „Freizeiteinrichtung“ berührt die alte Legitimitätsfrage der Kunst. Deshalb hat Ulrich Khuon, Vorsitzender des Deutschen Bühnenvereins, kürzlich vorgeschlagen, Theater mit Schulen und Universitäten gleichzusetzen: vulgo Bildungsanstalten. Das klingt doch schon protestantischer: „Lebenslanges Lernen“ in Schillers (moralischer) „Anstalt“ – Kunst mit Zweckbindung und als Zwangsinstrument. Folgt man hingegen der Einschätzung der Bundesregierung von Theatern und Museen als „Freizeiteinrichtungen“, dann muss man von bezahlten, weil subventionierten „circenses“ der Demokratie sprechen, die nun allerdings in der Krise ausfallen müssen. Römische Potentaten hätten das Gegenteil getan.

Sarkastisch gesprochen liegt in diesem Ausfall unser vergiftetes Glück: Freizeit ist heute nämlich nicht gleichbedeutend mit freier Zeit, sondern weitgehend durchgetaktet und gefüllt mit sinnvollem Tun um Kind, Sport und Kultur. Es ist nun die Bundesregierung, die uns mit jedem Lockdown der „Freizeiteinrichtungen“ wirklich freie Zeit zu schenken versucht. Aber wollen wir das? Nein, denn die wahren Protestanten sind wir: Wir wollen mit Theater, Museum und Kino vernünftig gefüllte Tage – frei dahinfließende, unerfüllte Zeit ist nämlich schlicht unchristlich.

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Civil War

Lesen Sie dazu auch:

Mehr Solidarität wagen
Die Theater experimentieren mit Eintrittspreisen – Theater in NRW 01/23

2G oder 3G?
Die Theater zwischen Landesverordnung und Sicherheitsgefühl – Theater in NRW 10/21

Freude und Honorar für "Straßenkünstler" in Bochum
Aktion „Fenster auf“ startet mit der ersten Staffel u.a. am Bergbaumuseum

Berufsziel: Prekarisierung
Kulturrat stellt Studie zum Arbeitsmarkt Kultur vor – Theater in NRW 08/20

Tanzen mit Plexiglashelm
Land NRW beschließt bindende Regeln für den Theaterbetrieb – Theater in NRW 06/20

„Wir hoffen, dass wir in begrenztem Umfang wieder eröffnen können“
Museumsdirektor Felix Krämer über den Düsseldorfer Kunstpalast – Sammlung 05/20

„Wir vermissen unser Publikum“
Johan Simons über das Bochumer Schauspielhaus in der Krise – Bühne 05/20

Theater und Philharmonie gehen viral
Die Plattform „TUP trotz(t) Corona“ nutzt YouTube als Bühne – Bühne 05/20

Expanded Cinema
Über den Wert von Kino und cineastische Alternativen während Corona – Kino 05/20

„Das Kino wird vermisst!“
Petra Müller, Geschäftsführerin der Film- und Medienstiftung NRW, über den Stillstand der Branche – Interview 05/20

„Seid ehrlich, seid kreativ“
Andreas von Hören über das Jugend-Videoprojekt „Corona Diaries“ – Interview 04/20

Theater.

Hier erscheint die Aufforderung!