Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 31
1 2 3 4 5 6 7

12.554 Beiträge zu
3.784 Filmen im Forum

Brachten den feministischen Protest auf die Bühne: Die Schauspielerinnen Schönfeld, Kleinpaß und Lantin (v.l.n.r.)
Foto: Lukas Zaner

Gendergebrabbel und Revolutionsrhetorik

19. März 2016

„Pussy Riots. Lesung mit aufständischen Frauen“ am 18.3. im Schauspiel Essen – Literatur 03/16

Die Fahrgäste haben auf ihren Smartphones bereits auf Rec gedrückt. Sie filmen, wie Figuren in quietschbunten Sturmhauben, hellen Strumpfhosen und Doc Martens bunte Bonbons in die Menge werfen und ihr politisches Anliegen verbreiten. Das dröhnt musikalisch aus den mitgebrachten Boxen: „Tötet die Sexisten!“. Wie man erfährt, das erste Lied der Punkrock-Aktivistinnen „Pussy Riot“, das auch bei dieser Tour durch die Stadt nicht fehlen darf. Doch die Aktion endet, wie so viele zuvor, je mit einer Verhaftung durch die russische Polizei.

Eine Aktion zwischen avantgardistischem Happening und zivilem Ungehorsam. Eine neue Protestkultur wollte man, einen „Punk-Feminismus“. Was die feministischen Aktivistinnen von „Pussy Riot“ von ihrem regierungskritischem Kampf gegen das patriarchalische System unter Putin dokumentiert haben, ist an diesem Abend oft das Material, das die Schauspielerinnen Floriane Kleinpaß, Lisan Lantin und Stephanie Schönfeld in der Heldenbar vortragen.

 

„Every kiss begins with a riot“

 

Im Rahmen der TUP-Festtage, die in diesem Jahr unter dem Motto „Unbeschreiblich weiblich“ laufen, lesen die die drei im Essener Grillo-Theater Texte aufmuckender Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten. Auf der Bühne steht ein Haufen Autoreifen. Barrikaden? Denn um nicht weniger als um Bambule gegen das Patriarchat geht es etwa in „Anleitung für eine Revolution“. In dem Buch, aus dem an diesem Abend einige Abschnitte gelesen werden, schildert das frühere Pussy-Riot-Mitglied Nadja Tolokonnikowa ihren feministischen Kampf – nicht ohne zuweilen aphoristische Rhetorik: „Every kiss begins with a riot.“ Erzählt wird auch von der staatlichen Repression im autoritären Putin-Staat: „Aufgrund meiner Nicht-Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb hat mir das Gericht eine vorzeitige Entlassung verweigert.“

 

Der Kampf gegen einen solchen Zwang, sich Schönheitsidealen und Rollenmustern zu fügen, wird in anderen Texten an diesem Abend auch theoretisch hinterfragt, etwa in Simone de Beauvoirs Klassiker „Das andere Geschlecht“: „Gibt es überhaupt Frau? Was ist eine Frau?“ Wozu die existenzialistische Philosophin damals den Anstoß gab, wird auch in aktuellen Diskursen aufgegriffen.

 

„Bitch-Stöhn-Konzert-Kunde“

 

„Jetzt machen Sie doch mal mit. Wir machen uns alle zum Affen“, fordern schließlich die Schauspielerinnen auf der Bühne das Publikum auf, in der angekündigten „Bitch-Stöhn-Konzert-Kunde“ miteinzustimmen. Nach der ironisch gebrochenen Gender-Devise, eine echte „Bitch“ zu sein, wird das Stöhnen von Tennis-Spielerinnen nachgeahmt: Vom Serena-Williams-Starter über den Steffi-Graf-Gnadenstoß („reflektiert den wiederkehrenden Pimmel“) bis zum Anna-Kurnikowa-Klassiker („die bitchigste Variante“). Revolutionsrhetorik verpufft hier zuweilen in selbstgefälliges Gendergebrabbel, irgendwo zwischen punkigem Spaßkrawall und systemkritischer Aktion. Das untermauert auch die spannende Lesung: Ein kurzweiliger Bühnenauftritt und progressive Texte gegen den, wie es Nadja Tolokonnikowa nennt, „verfickten Phallozentrismus“.

 

Applaus in der vollen Heldenbar. Aber für den politischen Gehalt oder die freche Performance? Wenn man will, stellte sich diese Frage ja schon bei den Aktivistinnen von Pussy Riot.

Benjamin Trilling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Chantal im Märchenland

Lesen Sie dazu auch:

Schwarze deutsche Feministinnen
Tiffany Florvil liest in Dortmund – Spezial 05/23

Zwischen Widerstand und Well-being
Feministischer Thementag am Schauspiel Dortmund – Gesellschaft 03/23

#WeSitWithYou
Koreanerinnen erinnern in Bochum an sexualisierte Kriegsgewalt – Teil 1: Lokale Initiativen

Stereotypen überwinden lernen
„Gender Diversität in Film und Fernsehen“ an der KHM – Foyer 12/18

Power in Pink
Ausstellungseröffnung mit Cartoonlesung und Signierstunde von Dagmar Gosejacob

Wunde der Geburt
„Die sichere Geburt – Wozu Hebammen?“ in Kooperation mit Mother Hood e.V. im endstation.Kino am 13.1. – Foyer 01/18

Kraftvolles Miteinander
„Andere Projekte mit Anderen.“ in der Aula der KHM – Foyer 12/17

Emanzipiert auf's Maul
Filmstudio Glückauf und KWI Essen luden am 24.10. zur Diskussion über Heldinnen im Film – Foyer 10/17

Sklaverei am Spülbecken
„How to do things with(out) Wurst“ von EGFKA im Autonomen Zentrum Mülheim – Theater Ruhr 02/17

Von Realisten und Träumern
Denice Bourbon und Me and Jane Doe begeistern am 25.4. im Duisburger Djäzz – Musik 04/16

Gewalt kennt keine Farbe
Diskussion zu „Rassismus und Sexismus: Intervention“ im Bahnhof Langendreer am 6.4.

Feminismus und Popkultur
Kerstin Grether am 6.2. in der Goldkante – Literatur 02/16

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!