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Sie haben keinen eigenen, gesicherten Wohnraum
Foto: Sven Siebenmorgen

Obdachlose Kinder gibt es in Neuss nicht

03. Dezember 2010

Eine Stadtverwaltung erklärt ein Problem für nicht existent - Thema 12/10

„Es gibt im Rhein-Kreis Neuss rund 60 obdachlose Kinder und Jugendliche, die unversorgt sind und eine Notschlafstelle bräuchten“, sagt Rebekka Schuh, Leiterin der Neusser Tafel, und sie weiß, wovon sie redet: „Streetworker haben uns auf dieses Problem aufmerksam gemacht und gefragt, ob wir die Jugendlichen mit Essen versorgen können.“ Seit November betreibt die Neusser Tafel deshalb einen Mittagstisch, an dem die Betroffenen eine warme Mahlzeit erhalten. Eben das aber ist dem Neusser Sozialdezernenten Stefan Hahn suspekt: „Dieser Mittagstisch ist ein Alleingang, der nicht mit der Stadt abgesprochen wurde“, ärgert er sich und bezweifelt die Zahl obdachloser Jugendlicher, die die Neusser Tafel nennt: „Das hört sich an, als hätten wir brasilianische Verhältnisse!“

Manche gehen tagsüber zur Mama, solange der Stiefvater nicht da ist

Schon sein Vorgänger Peter Söhngen bestritt vor zwei Jahren vehement, dass es dieses Problem in Neuss überhaupt gebe. „Natürlich sind alle Jugendlichen bei ihren Eltern oder in Heimen gemeldet und daher rein formal nicht obdachlos“, weiß Manuela Grötschel von der Essener Notschlafstelle für Jugendliche „Raum 58“, die jährlich rund 160 junge Leute betreut. Seit 2001 arbeitet sie hier und kennt die Schwierigkeiten, konkrete Zahlen zu nennen: „Es handelt sich um verdeckte Obdachlosigkeit. Die Jugendlichen sind ein paar Tage beim Opa, dann mal bei Bekannten, oder sie kommen zu uns. Aber sie haben keinen eigenen gesicherten Wohnraum.“ Zerrüttete Familien, Missbrauch und andere Gewalt sind oft der Hintergrund dafür, dass die Jugendlichen kein Zuhause mehr haben und durch die Maschen des sozialen Netzes fallen: „Das sind Jugendliche, die im Straßenbild überhaupt nicht auffallen. Manche gehen tagsüber zur Mama, solange der Stiefvater nicht da ist, andere halten sich in Einkaufspassagen auf oder in der Bahnhofsmission“, erläutert Katja Barthel vom Sleep-In in Dortmund, wo jede Nacht 12, jährlich insgesamt rund 250 Jugendliche oder junge Erwachsene einen Schlafplatz finden: „Sie haben meist keinerlei Geld, und das ist ein großes Problem. Im Prinzip steht ihnen ja das Kindergeld zu, aber das bekommen die Eltern, nicht die betroffenen Jugendlichen.“ Für die meisten bedeutet die Obdachlosigkeit auch ein Ende von Schule oder Ausbildung: „Das schaffen die wenigsten in dieser Situation. Dazu müssen sie schon extrem gut organisiert sein“, erläutert Barthel.

9.000 obdachlose Jugendliche werden nach Schätzungen des bundesweiten „Bündnis für Straßenkinder in Deutschland“ jedes Jahr von sozialen Einrichtungen betreut. Etwa 50 obdachlose Jugendliche versorgt die Wuppertaler Tafel, um ebenfalls 50 kümmert sich die Bochumer Notschlafstelle für Jugendliche „SchlafamZug“. Anonymität ist eine Voraussetzung dafür, die Betroffenen überhaupt mit Hilfen zu erreichen: „Sie haben schlechte Erfahrung mit Erwachsenen gemacht und müssen erst einmal Vertrauen finden“, weiß Rebekka Schuh. Und Manuela Grötschel gibt zu bedenken: „Durch Leugnen wird man dem Problem jedenfalls nicht gerecht.“

DAGMAR KANN-COOMANN

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