Eine geglückte Koinzidenz: Gerade wurde der weltweit geschätzte Gerhard Richter 90 Jahre alt, und dazu hat das Museum Ludwig seines Wohnortes Köln Bilder aus der Sammlung zusammengestellt, während die Düsseldorfer Kunstsammlung im K21 eine Wechselausstellung zeigt, die von Richter selbst eingerichtet wurde. Sie umfasst kleinformatige übermalte Fotografien und Handzeichnungen aus den letzten Jahren, und beides führt zum „Birkenau“-Zyklus (2014). Zu den vier großformatigen abstrakten Gemälden reihen sich Abzüge der einzigen vier Fotografien, die Häftlinge im KZ Auschwitz-Birkenau aufnehmen konnten. Jahrelang hatte Richter versucht, nach diesen Fotografien zu malen und erst in der Übermalung der realistischen Darstellung eine Lösung gefunden. Die ursprünglichen Bilder sind verschwunden und doch da. An ihrer Stelle stehen Weiß, Schwarz, Grün, Rot, verschoben mit dem Rakel, so dass frühere Farbe durchschaut. Die Gemälde vermitteln in Sprachlosigkeit und Intensität die Unmöglichkeit, Bilder für den Holocaust zu finden. Auch geht es um die Frage, was Kunst überhaupt vermag. Den Gemälden gegenüber hängen vier graue Spiegel, in denen sich der Betrachter sieht, mitsamt der Bilder: Er wird ein Teil davon.
Improvisiert sieht es hingegen im Museum Ludwig aus. Was hier nebeneinander hängt, sind Hauptwerke, die Richters Übergang vom Realismus zur Abstraktion dokumentieren und belegen, dass er von Beginn an die Rolle von Bildern hinterfragt und Illusionen desillusioniert hat. Die „Fünf Türen“ (1967) zeigen als Gemälde, wie sich eine Tür jedes Mal weiter öffnet, und doch ist nichts dahinter als die leere Fläche. Mit „Krieg (Abstrakt Nr. 484)“ (1981) führt Richter die gegenständliche Lesbarkeit ad absurdum. Noch mehr von ihm gibt es mit dem Glasfenster im Dom zu sehen und dann doch wieder in Düsseldorf: Im Stammhaus der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz sind Werke aus deren Sammlung ausgestellt. Sämtlich abstrakt oder ungegenständlich, vermitteln sie zwischen dem frühen Bestand im Museum Ludwig und den aktuellen Beiträgen im K21 – alles zusammen ergibt eine kleine, hochkomplexe Retrospektive.
Gerhard Richter | bis 24.4., K21 Düsseldorf: 0211 838 12 04 | bis 1.5., Museum Ludwig Köln: 0221 22 12 61 65
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Spiel mit dem Smartphone
Lars Eidinger als Künstler im K21 in Düsseldorf
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Aus dem Besitz
Neupräsentation der K21-Sammlung
Kunst aus Worten und Sätzen
Jenny Holzer im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/23
Identitäten auf dem einen Planeten
Fotografischer Blick auf die afrikanische Welt – Kunstwandel 09/22
Fließende Formen
Isamu Noguchi im Museum Ludwig – Kunst in NRW 06/22
Die Fakten zu den Bildern
Marcel Odenbach in Köln und Düsseldorf – Kunst in NRW 12/21
Der Alltag in Strukturen
Isa Genzken in Düsseldorf – Kunst in NRW 07/21
Die Wirklichkeit virtuell
Simon Denny in K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/20
Modernes Leben
Cao Fei in Düsseldorf – Ruhrkunst 11/18
Fremde Bekannte
Das Raqs Media Collective im K21 – Ruhrkunst 07/18
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23