Smartphones, Laptops, Elektroautos: Die Schüsselprodukte der Zukunft emanzipieren sich von fossilen Energieträgern und sollen dafür sorgen, dass Klimaziele noch einigermaßen erreichbar bleiben. In der Automobilbranche setzt man daher auf Elektroautos. Nachdem gerade die deutsche Branche lang hinterherhing, wird das Elektroauto mittlerweile aggressiv als grüne Zukunftslösung vermarktet. Dabei erhält die Branche tatkräftige Unterstützung der Bundesregierung, die Elektromobilität bezuschusst, wo es geht. In der Coronakrise gab es etwa Kaufprämien. Zwischen Juni und September hat sich der Marktanteil der Stromer am Autoabsatz mehr als verdoppelt. Die Strategie scheint aufzugehen.
Eine scheinbar ökologische Lösung und ein gutes Geschäft. Tatsächlich ist der Run auf Elektroautos auf den ersten Blick zu begrüßen. Die letzten Studien sprechen eine deutliche Sprache: Trotz großer Emissionsproduktion bei der Herstellung haben Elektroautos langfristig eine wesentlich bessere CO2-Bilanz als ihre benzinbetriebenen Schwestern. Der Teufel steckt im Detail. Elektroautos bieten das Versprechen, sich vom klimakillenden Rohstoff Öl zu emanzipieren. Gleichzeitig macht sich die Branche aber von einem neuen Rohstoff abhängig: Lithium. Fast alle Elektroautos werden mit Lithium-Ionen-Batterien betrieben. Wie kein anderes Leichtmetall verspricht Lithium eine hohe Energiedichte bei niedrigem Gewicht. Dementsprechend gefragt ist der Rohstoff. Im Durchschnitt steigt die Nachfrage seit 2000 pro Jahr um 20 Prozent. Die größten Automobilkonzerne und Batteriehersteller reißen sich um die verfügbaren Ressourcen und treiben damit nicht nur den Preis hoch, sondern auch die Notwendigkeit, immer neue Lithium-Vorkommen auszubeuten.
Für den Umweltschutz wird die Umwelt zerstört
Gewonnen wird Lithium vor allem in Bergwerken in Australien und Salzseeregionen in Südamerika. Aber gerade dort, im sogenannten Lithium-Dreieck Chile-Bolivien-Argentinien, richtet die Förderung von Lithium verheerende Schäden an den Öko- und Sozialsystemen an. Die Lithiumgewinnung verbraucht Unmengen an Grundwasser. Den ohnehin schon grundwasserarmen Regionen wird so der letzte Rest ihrer Lebensgrundlage geraubt. Betroffen davon sind nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch viele der Ureinwohner, die hauptsächlich von Landwirtschaft und Lamazucht leben. Um dem Westen grüne Alternativen zum benzinbetriebenen Auto zu präsentieren, wird das am anderen Ende der Welt mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen von Menschen und Tieren erkauft. Für den Umweltschutz wird Umwelt zerstört.
Den Automobilkonzernen ist das bewusst. Schon lange wird an Recyclingmethoden für Lithium gearbeitet. Aber bis die Verfahren effizient und ökonomisch genug sind, wird noch viel Zeit vergehen. Zeit, die weder die Menschen in Südamerika haben, noch die Menschheit überhaupt, die sich im Angesicht der Klimakrise unangenehme Fragen stellen muss. Im Kampf gegen den Klimawandel wurde lange auf die Innovationskräfte des Kapitalismus gesetzt. Findige Ingenieure, Wissenschaftler und Unternehmer, so die Annahme, werden in Windeseile neue grüne Technologien entwickeln. Die Widersprüche in der Elektromobilität zeigen: Diese Erzählung wird immer brüchiger. Zum einen, weil wir einfach keine Zeit mehr haben, auf die findigen grünen Technologien zu warten. Zum anderen, weil der auf Wachstum gepolte Kapitalismus immer neue soziale und ökologische Verwerfungen hervorbringt. Vielleicht ist es Zeit, nicht nur über alternative Autos nachzudenken, sondern über alternative Wirtschaftssysteme.
Aktiv im Thema
fraunhofer.de/de/forschung/fraunhofer-initiativen/fraunhofer-leitprojekte/fraunhofer-seltene-erden.html | Das Fraunhofer Institut beschreibt ein Projekt zur Verringerung des Bedarfs an Seltenen Erden und zur Suche nach Ersatzstoffen.
pan-germany.org | Das Pestizid Aktions-Netzwerk informiert über die gravierenden Folgen von Pestizid-Einsatz und wirbt für sozial und ökologisch vertretbare Alternativen.
ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_20_1542 | Die EU-Kommission informiert über Ihren Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Elektro
Hat der Trailer sich nicht vor Jahren für die Elektromobilität , für diesen Unsinn ausgesprochen ?
Handlungsfähig
Intro – Unfreier Handel
„Ein Paradigmenwechsel“
Juristin Franziska Humbert über das neue Lieferkettengesetz – Interview Pro
„Das Gesetz umsetzungsfähig machen“
Unternehmer Bertram Kawlath über das neue Lieferkettengesetz – Interview Contra
„Viele Vergiftungen werden nicht erfasst“
Inkota-Referentin über Pestizideinsatz im globalen Süden – Teil 1: Interview
Geteiltes Risiko ist halbes Risiko
Dortmunder Lernbauernhofsetzt auf Verbrauchernähe – Teil 1: Lokale Initiativen
Ein Hauch von Chile ’73
Kapital und Demokratie – zwei Seiten einer Medaille? Wohl eher nicht! – Teil 2: Leitartikel
„Globalisierung wird pure Friedenspolitik“
Stellvertretende Vorsitzende von Transparency International über Globalisierung – Teil 2: Interview
Offene Türen
Das Allerweltshaus in Köln-Ehrenfeld – Teil 2: Lokale Initiativen
Fair handeln
Moralische Verantwortung in Handelsketten – Teil 3: Leitartikel
„Lieferkettengesetz muss europäisch werden“
Designer über Lieferketten in der Modeindustrie – Teil 3: Interview
Wuppertal will Hauptstadt werden
Der Runde Tisch Fairer Handel – Teil 3: Lokale Initiativen
Kultur ist für alle da
Von gesellschaftlicher Vielfalt auf und vor den Bühnen – Teil 1: Leitartikel
Gentrifizierung auf Griechisch
Investoreninteressen und staatliche Repression im Athener Stadtteil Exarchia – Teil 2: Leitartikel
Hinter vorgehaltener Hand
Freiheit in der smarten Stadt – Teil 3: Leitartikel
Vorwärts nimmer, rückwärts immer
Verkehrswende in die Vergangenheit mit der FDP – Teil 1: Leitartikel
Mercedes oder per pedes?
Lob des Zufußgehens – Teil 2: Leitartikel
Bike Bike Baby
Freie Fahrt fürs Fahrrad – Teil 3: Leitartikel
„Totalverzweckung“ des Menschen
Bildung verkommt zur ökonomischen Zurichtung – Teil 1: Leitartikel
Wunsch nach Anerkennung
Über Erziehung und Kinderglück am Beispiel musikalischer Stars – Teil 2: Leitartikel
Steiles Gefälle
Überlegungen zum Altersglück – Teil 3: Leitartikel
Drei Millionen Liter
Gedanken zur Periodenarmut – Teil 1: Leitartikel
Die normalste Blutung der Welt
Vom Ende des Tabus der Menstruation – Teil 2: Leitartikel
Mysteriöse Körper
Warum die Medizin den weiblichen Zyklus vernachlässigt – Teil 3: Leitartikel
Die deutsche Stadt trotzt der Zukunft
Politik schreckt vor nachhaltiger Infrastruktur zurück – Teil 1: Leitartikel