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Das Geschlecht inszenieren

23. Februar 2016

Im Genderdiskurs finanziert Köln fragwürdige Tanzstücke – Tanz in NRW 03/16

Zurückblickend waren es die Frauen, die sich als Tänzerinnen im klassischen Ballett mit seinen rigiden Bewegungsformen nicht mehr wiederfanden und von Tutu und einzwängenden Spitzenschuhen abwendeten. Als Barfußtänzerinnen protestierten sie gegen das reale wie gesellschaftliche Korsett. Isadora Duncan, Loǐe Fuller, Martha Graham und viele andere stehen nicht nur für die Selbstbefreiung des weiblichen Körpers im Tanz, sondern auch für die Befreiung der Frau von gesellschaftlichen Zwängen schlechthin. Die schwierige Geburt des modernen Tanzes – vom Nackttanz der Anita Berber bis zum politischen Impetus der Jo Mihaly – war zugleich der Einstieg in eine Heterogenität ästhetischer Ansätze, Tanzstile und Bewegungsformen wie auch gesellschaftskritischer Themen und Inhalte, die den Tanz bis heute prägen. Duncan, Graham und die anderen waren mit ihrer Tanzkunst auch vehemente Kritikerinnen eines konservativen Zeitgeistes, der vom männlichen Blick geprägt war.

Auch für die heutige freie Tanzszene spielt die Gender-Inszenierung eine wichtige Rolle, die weitgehend als soziale Zuschreibung problematisiert wird. In Köln befasst sich die Tänzer-Choreografin Marion Dieterle immer wieder mit der Rolle der Frau im aktuellen Diskurs. Sie inszeniert Geschlecht und Identität aus weiblicher Sicht, doch leider ohne den hierfür erforderlichen (selbst-)kritischen Blick. Das führt zu absurden Verirrungen und einem völlig unreflektierten Umgang mit Einzelphänomenen wie der Inszenierung weiblicher Aspekte im erotisch-sexuellen Kontext. So holte die Choreografin für ihre letzte Produktion „Mein Körper, meine Wahl...“ eine ukrainische Stripperin auf die Bühne, die im Kölner Tabledance-Club Stardust arbeitete. Damit hätte dieses Stück, das von Dieterle als „eine Hommage an den Körper der modernen Frau“ gedacht ist, zu einer kritischen Darstellung weiblicher Gegenwelten führen können. Authentischer als mit einer echten Table-Tänzerin geht‘s schließlich nicht. Doch die Choreografin verpasst diese Chance. Statt sich den impliziten Herausforderungen des Themas zu stellen und die Verwertung des weiblichen Körpers durch Mafia-Organisationen anzusprechen (die Ndrangheta ist führend im Frauenhandel und an der Stange), verkommt das Stück zu einer unreflektierten Poledance-Show. Der Titel „Mein Körper, meine Wahl...“ ist angesichts der Zwangsrekrutierung vorwiegend osteuropäischer Frauen ein Schlag ins Gesicht jeder modernen Frau. Es ist ein ärgerliches, ein unsensibles Stück. Es offenbart sowohl inhaltlich als auch choreografisch eine naive Unfähigkeit, die Facetten einer Thematik choreografisch-tänzerisch herauszuarbeiten. Wie kritisch und selbstkritisch man mit Sex und Intimität umgehen kann, hat zuletzt Meg Stuart in „Until Our Hearts Stop“ bei der Ruhrtriennale 2015 gezeigt. Doch die spielt natürlich in einer anderen Liga. Bleibt die Frage: Wie ist es eigentlich möglich, dass ausgerechnet in Köln ein Frauen diskriminierendes Stück wie „Mein Körper, meine Wahl...“ mit hohen Summen aus städtischen Mitteln finanziert wird?

„Mein Körper, meine Wahl...“ | derzeit keine Termine | www.dossier3-d-poetry.blogspot.de

Klaus Keil

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