Ausgefallene Eiscremesorten, Möbiliar im Retrolook und gemütliche Sofas. Das Kugelpudel lädt dazu ein, zu verweilen. Entsprechend war dem Publikum auch nicht danach, sich auf die Socken zu machen, als die beiden SlammerInnen Theresa Hahl und Alex Burkhard ihr Programm beendet hatten. „Normalerweise würde jetzt Musik angehen“, fügte Alex Burkhard verlegen nach der offiziellen Verabschiedung hinzu. Doch die Musik blieb aus. Stattdessen Zugabe-Rufe aus dem Publikum. Beide hauten noch einen Text raus: Für die Performance ihres „Rausschmeißer-Textes“ forderte Theresa Hahl das Publikum auf, „in Erwartung Eures Heimweges schon mal Eure Schlüssel rauszuholen“. Und ihr Text über Träume und Gedankenwelten, die am Ende, wie das lyrische Ich seufzt, doch nur Teil eines Gedichts sind, endete mit dem Schlüsselrauschen. Alex Burkhard entsagte dagegen in einem satirischen Vortrag dem ideologischen Leistungsdruck der kapitalistischen Ellenbogengesellschaft.
Ein Mix aus Poetry-Slam und Lesebühne sollte das an diesem Abend werden, wie Alex Burkhart zu Beginn der Lesung betonte: „Wir haben ausgemacht, Du machst Poetry-Slam und ich mach Lesebühne.“ Theresa Hahl fügte noch hinzu, dass der Fun-Faktor an diesem Abend im Mittelpunkt stehen sollte: „Wir machen heute nur Sachen, bei denen wir Spaß und Lust haben.“ Wortspiele und Spaßperformances machten folglich die Intervalle zwischen den Textvorträgen aus: Für Theresa Hahl gab es eine Heidelbeerblaue-Kriegsbemalung. Um Krieg und Frieden ging es in der Lesung des gleichnamigen Tolstoi-Werks nur an zweiter Stelle: Das Publikum rief die Stichworte für den Leseduktus in den Raum und die beiden PoetInnen partizipierten. Wenn Theresa Hahl ein beschwipstes Tolstoi-Personal mimt und Alex Burkhart das napoleonische Schlachtgeplänkel im Roman mit vom Publikum gefordertem sexy Timbre performt, gibt es vor Lachen kein Halten. Aber auch die eigenen Texte der beiden SlammerInnen wurden verlesen: Wortakrobatisch, rhapsodisch und melancholisch sind die Texte von Theresa Hahl. Sprachlich entfesselt sie Bilder, die Sommertage schildern, in denen „tiefgekühltes Heidelbeerblau als Reinkarnation des Himmelblau“ erscheint. Ihre Verse erzählen von Vergänglichkeit, Ungewissheit, dem Schwanken, wo man in nächtlichen Tänzen „die Frage vermied, was da kommt nach dem Lied“ und ebenso „nächtliche Thesen am Tresen“ am nächsten Morgen wieder verpufft waren.
Was tun mit geisteswissenschaftlichen Abschluss?
Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer kennen die Reizfrage: „Und was kann man damit später machen?“ So lautet auch der Titel von Alex Burkhards neuestem Buch. „26 Geschichten für Geisteswissenschaftler und alle anderen, die auch nichts Anständiges gelernt haben“, so der Untertitel. Auf dem Cover ist natürlich ein Taxi abgebildet. Für hoffnungslose GeisteswissenschaftlerInnen eine Möglichkeit, der literarischen Aufarbeitung ihrer Zukunftssorgen zu lauschen. Allerdings konnte Burkhard in der Runde nicht viele von ihnen ausmachen: „Nicht, dass wir heute nur Mechaniker haben.“ Süffisant schildert er von den Irrungen und Wirrungen eines Skandinavistik-Studenten, der sich mit der Frage plagt: was später tun? An einem Info-Tisch muss er InteressentInnen überzeugen, eine ähnliche Studienwahl zu treffen: „Man hat dann halt so einen Abschluss und schaut dann weiter.“ Rat wusste auch das Buch nicht, aber es unterhielt – genauso wie die anderen Texte Burkharts an diesem Abend. Am Ende forderte das Publikum auch für ihn Heidelbeer-Schminke. Irgendwie lud das Kugelpudel gerade dazu an diesem Abend ein.
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